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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Tierwelt

Seit wohl mindestens 160 Mio. Jahren schwimmt die Insel Madagaskar losgelöst von Kontinentalafrika im Indischen Ozean. Dies verhinderte ein Übersetzen von überlegenen Nachwanderern aus der Tierwelt, die sich allmählich in Afrika entwickelten. Daher konnten sich die archaischen Ersteinwanderer auf der abgeschirmten Insel Madagaskar ohne Druck im Verlauf von Jahrmillionen ausbreiten und stark spezialisieren. Diese Vielfalt ist auffallend wie auch die Absenz einer 'typisch afrikanischen' Fauna. Denn in Kontinentalafrika entwickelten sich die grossen Säugetiere erst vor etwa 65 Mio. Jahren, also nach der Loslösung Madagaskars, sodass heute auf Madagaskar kein Grosswild (Elefanten, Zebras, Giraffen, Antilopen, Büffel) anzutreffen ist, auch keine Löwen, Hyänen und Affen. Ebenso fehlen Kröten, Salamander und echte Giftschlangen vollständig.

Viele madagassische Tierarten weisen noch immer eine enge Verwandtschaft mit Artgenossen in Südamerika, Australien und Afrika auf und sind somit als Relikte einer früheren Gondwanafauna einzuordnen. So zum Beispiel Spinnenarten oder auch archaische Tausendfüssler.

Der generelle Eindruck ist, dass Madagaskar den Grundstock an Gondwanafauna übernommen hat, ihn nicht weiterentwickelt, jedoch breit variiert hat. Das heisst, es gibt wenige Familien und Gattungen, aber ausserordentlich viele Arten. Interessant ist, dass etliche Arten auch in Madagaskar nur in geografisch sehr limitierten Zonen vorkommen, und dies trifft seltsamerweise auch auf die Vögel zu. Jede ökologische Nische wird von ganz spezifischen Tieren besetzt, wobei der Regenwald mehr Nischen bietet als der Trockenwald. Dies führt so weit, dass gleiche Nischen zuweilen doppelt besetzt sind: von tagaktiven und von nachtaktiven Tieren.

Zu ihrer Verteidigung haben viele Tiere keine Aggressionswaffen entwickelt, sondern sich zu verblüffenden Tarnkünstlern entfaltet, insbesonders die Stabheuschrecken und Gottesanbeterinnen, die sich täuschend ähnlich das Aussehen von Blättern und Ästen geben können.

Durch die lange Isolation hat sich in Madagaskar eine ganz eigenwillige Fauna entwickelt. Madagaskar beherbergt dreiviertel der Lemurenarten der Welt und zweidrittel der Chamäleonarten. 70 - 80 % der Tiere sind endemisch: es gibt sie nur in Madagaskar.

Doch die Fauna Madagaskars ist stark gefährdet. Insbesonders der Mensch und seine Aktivitäten (Brandrodung, Buschfeuer, Jagd) haben dazu geführt, dass sehr viele Arten bereits ausgerottet sind. Andere stehen vor dem Aussterben, wie etwa die votsotsa, eine kaninchengrosse madagassische Springratte, auch Madagaskarratte genannt.

Die rund 100 Säugetierarten sind durchwegs endemisch, ausser den Fledermäusen und den von den Menschen im Laufe der Besiedlungsgeschichte eingeführten Säugern. Und ausser den Walen und Robben.

Die grössten Säugetiere sind die bis zu 60 kg schweren Lambo (wilde Eber), die fast überall auf der Insel leben und des Fleisches wegen gejagt werden. Aber auch, weil sie die Pflanzfelder der Bauern nach Wurzeln durchwühlen. Bemerkenswert ist, dass der madagassische Name für das Wildschwein (lambo) in indonesischen Sprachen Rind bedeutet. (Das Wildschwein wurde früher mit dem Blasrohr gejagt, eine Methode, die sich heute nicht mehr findet. Ebenso ist es interessant festzustellen, dass der noch vor 400 Jahren nachgewiesene Gebrauch von Pfeilbogen inzwischen völlig verschwunden ist.) Die Jagd spielt heute kaum eine Rolle mehr in der Ernährung der Bevölkerung. Vögel und Kleintiere werden gelegentlich gejagt, allerdings mehr zum Spass der Jugend als zum Fleischverzehr. Die zyklisch auftretenden Wanderheuschrecken hingegen werden gezielt gefangen und gegessen.

Die berühmtesten Vertreter der madagassischen Fauna sind die Lemuren. Madagaskar ist schlichtweg das Land der Lemuren. Frühere Wissenschaftler sprachen gar vom verschollenen Kontinent Lemuria, dem sie Indien, Malaysia und Madagaskar zuordneten.

Halbaffen (Lemuren), die Vorfahren der Affen, lebten früher auch auf der nördlichen Erdhälfte. Rund 50 Millionen Jahre alte lemurenartige Fossilien aus der Familie der Adapidae fand man auch in Europa und in Amerika. Diese ersten Primaten hatten kleine Gehirnvolumen und hingen eher vom Geruchssinn als vom Augenlicht ab. Nach dem Abdriften Madagaskars entstanden vor 30 Millionen Jahren in Kontinentalafrika die Affen und Menschenaffen und verdrängten dort die Halbaffen, die sich zu den hasenkleinen Galago-Arten (Buschbabies) entwickelten. Die Lemuren auf Madagaskar, die alle von der gleichen Halbaffenart abstammen, behaupteten sich, entwickelten sich jedoch nicht über diese Stufe hinaus. Sie blieben beispielsweise in hohem Masse abhängig von ihrem Geruchssinn und von Geruchsmarkierungen als soziales Identifikationsmittel. Doch sie splitterten sich in etliche Arten auf. Zu ihrem Überleben trug der Mangel an Feinden bei und auch, dass sie ökologische Nischen ausfüllten, die ihnen von so gut wie keinen Nahrungskonkurrenten streitig gemacht wurden. Die Lemuren haben sich den ökologischen Bedingungen stark angepasst, so sind einzelne Arten nur in beschränkten Vegetationszonen mit ihrem spezifischen Lebensraum zu finden. Oft gibt es zwei Arten: eine, die sich den Gegebenheiten des Dichtwaldes angepasst hat und eine zweite, die sich im lockeren Gebüsch der trockenen Gebiete aufhält. Die Anpassung geht so weit, dass der Wieselmaki während der Trockenzeit - wenn andere Tierarten in eine Trockenstarre fallen - seinen eigenen Kot frisst.

Lemuren sind gesellige Säugetiere und leben oft monogam in Gruppenverbänden. Sie halten sich zumeist in Baumkronen auf und ernähren sich von Blättern, Bambus und Früchten. Etliche sind nachtaktiv, einige bewegen sich allerdings auch tagsüber in den Baumwipfeln. Die grösseren Lemurenarten sind meist tagaktiv. Lemuren halten sich in genau begrenzten Revieren auf, bewacht von den Männchen, die bei Gefahr sofort eindringliche Warnrufe ausstossen. Fettreserven werden im Schwanz angelegt. Das Baby klammert sich am Fell der Mutter fest, wenn sie von Baum zu Baum springt. Die Lemuren sind die wichtigsten Verbreiter von Samen in den madagassischen Wäldern.

Erst mit dem Mensch kam ein Feind der Lemuren auf die Insel. Zwar werden die Lemuren nicht regelmässig gejagt. Doch die zunehmende Degradierung des Lebensraumes, in dem die Lemuren oft nur eine schmale Nische ausfüllen, gefährdet ihre Überlebensmöglichkeiten zusehends. Über ein Dutzend - und vor allem die grösseren Arten - sind bereits ausgestorben. So unter anderem der im 17. Jahrhundert von Flacourt mit Angst beschriebene tratratratra, der so gross wie ein zweijähriges Kalb war. Ebenfalls nur noch als Knochenüberreste sind gigantische Lemuren von der Grösse eines Gorillas wie Megaladapis, Archaeoindris und Paleopropithecus erhalten. Sie waren mit über 15 Kilo Lebendgewicht eher Bodenläufer als Kletterer. Die ausgestorbenen Lemurenarten waren vor allem tagaktive Arten, was womöglich doch darauf hindeutet, dass sie von den damaligen Menschen intensiver gejagt wurden als dies heute der Fall ist.

Doch auch in unserer Zeit sind etliche Arten vom Aussterben bedroht: vielleicht ist inzwischen der Grosse Bambuslemur bereits ausgestorben. Andere sind auf kleine Reviere beschränkt, wobei ihr Lebensraum und ihre ökologische Nische einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Andererseits wurde seit 115 Jahren unerwartet wieder eine völlig neue Primatenart entdeckt. 1987 fand der Zoologe Bernhard Meier von der Bochumer Ruhr-Universität aufgrund der Information einer französischen Primatenforscherin in Ranomafana den Goldenen Bambuslemur. Der Name kommt von der Essgewohnheit dieses Tieres: es ernährt sich nur vom Mark spezieller Bambusschösslinge, die für andere Tierarten tödlich wären. Der Goldene Bambuslemur kommt wahrscheinlich nur noch in wenigen, kleinen Gruppen vor und wurde womöglich kurz vor dem Aussterben noch 'entdeckt'.

In Madagaskar leben heute weniger als 30 Lemurenarten. Die Einteilung in eine eigene Art oder eine Unterart ist für einzelne Lemurengruppen noch immer umstritten. Es werden - je nach Klassifizierung - fünf oder sechs Lemurenfamilien unterschieden. Die kleinsten Vertreter sind die winzigen Mauslemuren von wenig mehr als 50 Gramm Körpergewicht, die fast überall in Madagaskar (ausser auf dem Hochland) leben, aber sehr selten zu beobachten sind. Der flinke Mausmaki ist zugleich der kleinste lebende Primat der Erde.

Am bekanntesten sind wohl die mausgrauen Katta-Lemuren mit ihrem schwarz-weiss geringelten Schwanz. Die zumeist tagaktiven Katta sind als einzige Lemuren keine reinen Baumbewohner, sie halten sich ebensoviel auf dem Boden auf.

Die wollhaarigen und schwanzlosen Indri-Indri hingegen sind die grössten heute noch lebenden Lemuren. Sie haben hundeartige Schnauzen, schwarze Köpfe, ein graues Fell und verursachen einen durchdringenden, klagenden Schrei, der kilometerweit zu hören ist und von den Madagassen mit 'singen' umschrieben wird. Die Betsimisaraka an der Ostküste nennen sie babakoto (Vettern) und glauben, dass die Verstorbenen erst Indri werden, bevor ihren Seelen in den Gräbern Ruhe finden. Daher werden die Indri auch nicht gejagt. (Der Name Lemure ist lateinischen Ursprungs: Lemuren waren die Geister der Verstorbenen bei den Römern.)

Grazil wie ein Balletttanz muten die leichtfüssigen Bewegungen der weissbraunen Sifaka an, wenn sie seitlich auf den Hinterbeinen hüpfend eine Ebene durchqueren. Sie lieben es, wie die Katta auch, sich des morgens von der Sonne erwärmen lassen, wobei sie die Arme wie im Gebet von sich strecken.

Das struppige Fingertier (Aye-Aye) erfüllt die Rolle der in Madagaskar nicht vorkommenden Spechte: mit seinen Fledermausohren horcht es die Baumstämme nach Larven ab und kratzt sie mit seinen langen Fingern aus den Baumrinden. Liebend gern vergreift sich das katzengrosse Aye-Aye auch an Kokosnüssen, weshalb dieses scheue und nachtaktive Tier von den Dorfbewohnern gejagt wird. Doch die Leute fürchten sich gleichzeitig vor diesem nachtschwarzen Tier, weil es den Tod ankünden soll. Aye-Aye haben nebst ihrer eigenartigen Fingerhand mit einem extrem dünnen Mittelfinger als weitere zoologische Eigenartigkeit stetig nachwachsende Zähne.

Die weiteren Landsäugetiere Madagaskars sind nur äusserst selten in freier Wildbahn zu beobachten. So etwa die faustgrossen igelartigen Tenrek, die von Insekten leben. 32 verschiedene Arten dieser stacheligen Tiere leben auf der Insel.

Auf Madagaskar leben 10 Arten Raubtiere, alle sind mit der Schleichkatze (Mungo) verwandt. Die braunen, fellbehaarten und nachtaktiven Fossa sehen einer Katze ähnlich, sind jedoch länger und spitzer. Der Fossa, auch Ferox oder Frettkatze genannt, hält sich als ausgezeichneter Kletterer vor allem in Bäumen der Ostküste auf. Es ist das grösste madagassische Raubtier mit einer Länge von bis zu 1,5 Metern einschliesslich des buschigen Fuchsschwanzes und wiegt um die 10 kg. Er jagt Kleintiere und ebenso Lemuren. 

Fledermäuse finden sich in der Abenddämmerung überall auf der Insel und werden von den Leuten als willkommene Spezialität gegessen. Im Süden sind tagsüber ruhende Flughunde an Astgabeln zu beobachten. Nachts schwirren sie mit ihren Flügeln, die eine Spannweite von bis zu einem Meter aufweisen, durch die Lüfte auf der Suche nach einer Beute.

Die madagassische Vogelwelt ist ärmer als jene in Afrika oder in anderen tropischen Regionen. Nur 52 Prozent der 256 bekannten Vogelarten sind endemisch, und dies sind vor allem Waldvögel. Etliche der vertretenen Arten stammen ursprünglich aus Asien und nicht aus dem benachbarten Afrika.

Es gibt keine Aasgeier und keine Spechte, aber insgesamt 16 Arten Raubvögel, Falken, Eulen, Adler und 65 Arten Singvögel. Und drei Arten von Papageien, die allerdings mit ihrem mausgrauen Federkleid mit den farbenprächtigen Vertretern anderer Kontinente nicht konkurrieren können.

Viele Vogelarten werden gejagt und gegessen. Madagaskar ist eines der Ziele für Wandervögel aus Afrika und dem Mittelmeergebiet, einige brüten in Madagaskar.

Und doch sind äusserst seltene Vögel zu beobachten, wie etwa der Mesite, ein Waldbewohner mit einer blütenweissen Brust, der in Bodennähe nistet und auf der Flucht eher läuft als fliegt.

Von den Greifvögeln sind die Falken am weitesten verbreitet. Der mit seiner Flügelspannweite von zwei Metern mächtige Fischadler hingegen ist am Rande des Aussterbens. Nur noch ein paar Dutzend Paare brüten an der Westküste. Noch unsicherer ist das Weiterbestehen des in Waldgebieten lebenden Schlangenadlers. Seit 1935 wurde kein Exemplar mehr gesichtet. Die kleine Hoffnung besteht zwar, dass er in den - wenigen - unberührten Dichtwaldzonen des Nordostens noch weiterlebt.

Zwei Arten von putzigen und nicht menschenscheuen Eisvögeln (vintsy) leben auf der Insel, der eine mit einem blauen Kleid, der andere mit einem orangen Rücken und weisser Brust. Dieser Charaktervogel wird von der WWF-Zeitschrift Vintsy als Logo benutzt. Vintsy ist mit einer Auflage von 50'000 Exemplaren die grösste madagassische Publikation und setzt sich für ökologische Belange in Madagaskar ein. Das auch von der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (DEZA) mitfinanzierte Journal richtet sich vor allem an jugendliche Leser.

Als blütenweisse Tupfen in den grünen Reisfeldern sind im ganzen Land Reiher zu beobachten, insbesonders die in Begleitung von Vieh zu sehenden, schneeweissen Kuhreiher. Oder der schieferblaue Reiher, der seine Beute fischt, indem er mit seinen Flügeln einen Kreis abdunkelt und in dessen Mitte dann mit dem Schnabel auf die Beute einsticht.

Riesige Schwärme von rosafarbenen Flamingos finden sich in Küstenlagunen westlich von Port-Bergé und in der Region von Tulear an Binnenseen, vor allem beim Lac Tsimanampetsotsa.

Den Fody, eine braun-graue Spatzenart, trifft man allerorts auf der Insel, oft in schwatzenden Gruppen. Der Rücken und die Brust der Männchen färben sich knallrot während der Paarungszeit von November bis April (Regenzeit). Sein häufiges Vorkommen ist aber auch ein Zeichen und eine Folge der Naturzerstörung, denn er kommt vor allem in degradierten Wäldern und in Savannen vor. Auch in städtischen Gebieten kann dieser anpassungsfähige Winzling überleben.

Madagaskar liegt mit über 5000 km zu weit im Norden für Pinguine. 1956 jedoch wurde ein Pinguin im Süden der Insel gesichtet: wahrscheinlich wurde er auf einem Schiff mitgenommen. Die sich von Fischen ernährenden Albatrosse bauen ihre Nester auf den subarktischen Inseln und segeln mit ihren Flügeln von 2,5 m Spannweite tausende von Kilometern übers Meer. Zuweilen kommen sie aus dem Süden von der Insel Crozet (2500 km von Madagaskar weg) oder von Kerguelen (3500 km) bis an die Küsten Madagaskars.

Auf Madagaskar finden sich rund 150 endemische Amphibienarten. Die Frösche leben meist in feuchten Waldgebieten des Ostens, darunter auch Baumfrösche und zwei Arten von Riesenfröschen, die über 10 cm gross werden und auch gegessen werden. Einzelne Arten sind fast militärisch moosgrün getarnt, braungrau wie ein Baumstamm, braun wie trockene Blätter - oder aber auffällig grellrot wie der fette Tomatenfrosch oder süsslich orange wie das zierliche Goldfröschchen (Mantella), das keine zwei Zentimeter lang ist. Diese zierliche Bewohnerin der feuchten Biotope wird oft Opfer der Sammeltätigkeit von 'Tierliebhabern' und Tierexporteuren. Der weitverbreitete Ochsenfrosch hingegen wurde zur Insektenbekämpfung aus Asien eingeführt und breitet sich durch seine Gefrässigkeit stetig aus.

Etwa 260 Reptilienarten leben auf Madagaskar, der allergrösste Teil davon (95 - 99%) ist endemisch.

Es gibt nur noch eine Art Krokodil auf Madagaskar, nachdem die grösseren Vertreter dieser Panzerechsen ausgestorben sind. Das heute noch - wenn auch selten - anzutreffende Nilkrokodil (voay oder mamba genannt) wird um die 6 m lang und ist für den Menschen das einzige gefährliche Tier Madagaskars. Es findet sich noch immer in etlichen Flussläufen und insbesonders im Unterlauf des Betsiboka. Das Krokodil gilt in vielen Regionen als Reinkarnation der Ahnen und wird wegen seiner Kraft verehrt, wie beispielsweise in einem heiligen See bei Anivorano. Krokodilzähne wurden und werden von den Madagassen als kraftvolle Glücksbringer getragen. Doch trotzdem wurde und wird es intensiv gejagt, insbesonders wegen des - für den Touristenmarkt gesuchten - Leders. Noch immer werden Taschen, Schuhe und Geldbeutel aus Krokodilleder mitten in der Hauptstadt frei verkauft - und offenbar auch gekauft. Eine kommerzielle Krokodilfarm findet sich in der Nähe des Flughafens Ivato.

Die Echsenpopulation ist ausgesprochen variationsreich. Über 180 Arten Eidechsen, Geckos und Chamäleons tummeln sich in den unterschiedlichen Biotopen der Insel. Auch sie sind teilweise so getarnt, dass sie sogar auf Fotos schwer auszumachen sind. Andere wiederum sind auffallend gezeichnet mit farbigen schillernden Mustern. Die grössten Chamäleon mit ihren urweltlichen Köpfen können bis zu 80 Zentimeter lang werden, während die kleinsten Vertreter nur einen Zentimeter lang sind. Ihre Augen bewegen sich unabhängig voneinander, ebenso auffallend ist ihr zögerliches Schreiten. Regungslos warten sie auf ihre ahnungslose Beute (Insekten, Ameisen). Im geeigneten Moment schiesst die mehr als körperlange, aufgerollte Zunge auf die Beute zu, die an der klebrigen Zungenspitze hängen bleibt. Auf die Chamäleon beziehen sich viele madagassische Sprichwörter, die zu Umsicht und Bedachtheit mahnen. Insgeheim fürchten sich die Madagassen vor diesen Relikten einer fernen Urzeit und glauben auch, dass der Biss dieser Tiere tödlich sei.

Zwei Arten von riesigen Landschildkröten sind ausgestorben. Es bleiben 5 Arten Landschildkröten, 4 Arten Meeresschildkröten und 4 Arten Süsswasserschildkröten übrig. Von den Landschildkröten sind 4 endemisch, wovon die im trockenen Süden lebenden und bis zu 40 Zentimeter langen sokaka (Strahlenschildkröte) wegen ihrer auffallenden Rückenzeichnung am bekanntesten sind - und somit gefährdet. Auf dem schwarzen Rücken verlaufen gelbe Striche wie Sonnenstrahlen weg vom Zentrum eines jeden Segments der Rückenplatten. Die Schnabelbrustschildkröte hat wohl trotz eines Arterhaltungsprojektes mit der Aufzucht von Jungtieren das kritische Stadium der Ausrottung erreicht. Für einige Ethnien ist das Essen von Schildkröten fady (tabu), andere wie die Sakalava und Vezo, benutzen Schildkröten für ihre Rituale.

Drei Familien Schlangen und Blindschleichen leben in Madagaskar, unterteilt in mindestens 62 Arten. Meist sind es Nattern (50 Arten), nur drei Boa-Arten sind bekannt, die zwei bis drei Meter lang werden. Diese lebendgebärende Riesenschlange hat Verwandte in Südamerika, jedoch nicht in Afrika, wo die Boa von den aggressiveren Pythons (die es in Madagaskar nicht gibt) verdrängt wurde. Keine der Schlangen ist für den Menschen gefährlich, doch insbesonders die Boa werden gejagt und gegessen und ihre Haut zu Leder verarbeitet.

Die Welt der wirbellosen Tiere ist noch in grossen Teilen unerforscht. Madagaskar hat beispielsweise eine der variationsreichsten Landschneckenpopulationen der Erde. Von den - bislang bekannten - über 380 Arten sind mindestens 361 endemisch.

Es gibt rund 12 verschiedene Skorpionarten, die jedoch klein sind und deren Stich schmerzhaft, aber nicht tödlich ist für den Menschen.

Von den weit über 400 Spinnenarten sticht die langbeinige Nephila heraus: sie erstellt derart starke, riesige Spinnweben, dass früher daraus lamba (Tücher) für die Merina-Könige gewoben wurden.

Auch eine der Schwarzen Witwe verwandte Art lebt in Madagaskar. Die schwarze erbsengrosse Spinne mit leuchtendem Rot auf dem Rücken ist unter dem Namen menavody bekannt.

Zehntausende von Insektenarten gibt es auf Madagaskar, die meisten davon sind jedoch nicht endemisch. Doch viele machten eine spezifische Diversifizierung durch.

Libellen und Termiten finden sich vor allem im trockenen Westen und Süden. Die Termiten bauen allerdings nicht die mannshohen Dome wie ihre Artgenossen in Afrika, sie begnügen sich mit kniehohen, pilzartigen Bauten.

Als Meister der Tarnung gelten die Stabheuschrecken, ihr Aussehen lässt sie wie ein Holzästchen oder wie ein Stück Baummoos erscheinen. Sie können bis zu 25 cm lang sein. Eine Plage können die Heuschrecken und Wanderheuschrecken werden, wenn sie alle paar Jahre in Millionen über das Land herfallen und dramatischen Schaden anrichten. Die Leute im Westen und Süden schätzen die Heuschrecken als köstliche Delikatesse.

Die Tausende (rund 20’000) von verschiedenen Käfern sind zumeist endemisch, einzelne Arten werden mehrere Zentimeter lang, andere haben nashornartige Köpfe oder ein ungewöhnliches Aussehen wie der bizarre männliche Giraffenkäfer, dessen leuchtend roter Körper in einen überlangen, geknickten Hals übergeht.

Obwohl in Madagaskar nur etwa 300 Arten vorkommen, ist die Grosse Insel auch ein Paradies von Motten und Schmetterlingen, die in allen Farben schillern und spektakuläre Muster aufweisen - oder trockenen Blättern oder verwitterten Baumrinden gleichen. Sie können so gross wie eine Handfläche sein, besondere Exemplare werden gar bis zu 25 cm lang. Einzelne Schmetterlingsarten sind von Sammlern speziell gesucht, beispielsweise der auf schwarzem Grund grün-blau-orange schimmernde urania. Etliche Schmetterlinge sind inzwischen vom Aussterben bedroht. Aus den Kokons der Brocera-Motte wurden früher im Betsileoland Seidenfäden gewonnen, um daraus Totentücher zu weben.

Fliegen und Mücken gibt es in grosser Menge, störend sind stecknadelgrosse Fliegen mit weissen Flügelchen (mokafohy), die an Stränden leben und juckende Stiche verursachen. Die weibliche Anopheles-Stechmücke überträgt Malaria und gedeiht insbesonders im feuchtheissen Klima der Ostküste.

Wespen bauen graue papierene Nester und Bienen sammeln den geschätzten Honig. Der madagassische Name für Bienen ist renitantely, was Mutter des Honigs bedeutet. Baumameisen errichten in Astgabeln Lehmnester, die bis einen halben Meter dick werden. Oder sie errichten Nestkuppeln, die wie ein abgestorbener Baumauswuchs aussehen. Zikaden beginnen ihr zirpendes Konzert beim Eindunkeln. Eine Zikaden-Art (ptyelus goudoti) lebt auf den Jacarandas, von denen während der Blütezeit im November dicke Tropfen fallen, weil sich die Larven eingraben. Im dichten Wald leben kleine Blutegel (dinta), die sich bei Waldspaziergängen überall an der Haut und gar an den Augenlidern festklammern.

Im Indischen Ozean schwimmt eine Vielzahl an Fischen: Schwertfisch, Rochen, Barracuda, Capitain und viele mehr. Sie alle werden gefischt und sind in Restaurants zu haben, ebenso wie Tintenfisch, Langusten, Krabben und Austern.

Haifische bilden vor allem an der Ostküste eine Gefahr für Schwimmer, besonders in der Umgebung der Hafenstadt Tamatave. Selten nur wird Haifisch in Restaurants angeboten.

In den Mangroven der Westküste leben amphibische Fische, deren Flossen mit Saugnäpfen versehen sind und die sich während der Ebbe an den Mangrovenstämmen festsaugen.

Vor Tulear und um Nosy Be finden sich grosse Korallenriffe mit ihrer farbenprächtigen Flora und Fauna. Diese Unterwasserwelt hat sich zu einem paradiesischen Ziel für Schnorchler und Taucher entwickelt, die sich an den rosa und weissen Korallengebilden und den in allen Regenbogenfarben schillernden Fischen nicht satt sehen können.

Zwischen Ste. Marie und der Hauptinsel ziehen im Juli und August Wale (Blauwale und Buckelwale) bis in die Bucht von Antongil. Die Bewohner von Ste. Marie jagten früher diese 30 bis 50 Tonnen schweren Säugetiere, wenn sie die nur wenige Kilometer breite Meerenge westlich von Ste. Marie durchschwammen. In der ruhigen und windgeschützten Bucht von Antongil gebären die 15 bis 20 Meter langen Tiere ihre Jungen und ziehen im September wieder nach Süden in die arktischen Gewässer.

In der Bucht von Antongil und auch an der Westküste sind - selten zwar - Dugong (Seekühe; Säugetiere) zu beobachten. Delphine bevölkern die Küsten im Süden Madagaskars und sind des morgens in der Bucht von Fort-Dauphin keinen Steinwurf vom Ufer entfernt zu sehen. Das Fischervolk der Vezo an der Westküste hatte - früher jedenfalls - zu den Delphinen eine sehr enge Beziehung. Gestrandete Delphine wurden in Totentücher gewickelt und wie Familienmitglieder begraben.

Die unzähligen Süssgewässer sind mit rund hundert Arten Fischen bevölkert. Zu den einheimischen Arten wurden in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Ausland eingeführte Arten ausgesetzt: Karpfen, Forellen, sechs Sorten Tilapia und Black-Bass. Auch der Gambusia wurde 1929 aus Amerika eingeführt. Dieser fingerlange Fisch frisst die Larven der Malaria übertragenden Anopheles-Stechmücke. Die Seen und Flüsse werden befischt, ebenso wie die Reisfelder.

Eine seltene Art Fisch lebt im Wasser von Höhlen und Grotten im Norden und im Südwesten. Die rund acht Zentimeter langen Fische haben kein Pigment und sind vollkommen blind. Auch in den Grotten in der vulkanischen Region von Antsirabe leben blinde Höhlenfische und Garnelen.

Die ersten Einwanderer brachten schon vor Jahrhunderten neue Tiere mit: Zebu, Hund, Katze, Huhn, Schaf, Ziege, Schwein und - wahrscheinlich - das Perlhuhn, das heute in verwildertem Zustand lebt.

Auch die Europäer brachten neue Tierarten nach Madagaskar: Pferde finden sich heute auf dem Hochplateau, jedoch nur in geringer Zahl. Noch seltener trifft man auf Esel, die in ihrer Verbreitung äusserst minim sind. Als Zugtiere haben Pferd und Esel keine Verbreitung gefunden, ausser gerade in der Hauptstadt, wo noch heute wildwestartige Pferdekutschen für den Personentransport eingesetzt werden.

Ein Versuch, die Zucht von Angora-Ziegen mit Teppichweberei zu verbinden, hatte im Süden um Ampanihy nicht den gewünschten Erfolg. Auch die Einführung von Straussen in der trockenen Region von Tulear war ein Fehlschlag. Erst seit den beginnenden 90er Jahre wurde in der Region von Morondava ein erneuter Versuch mit Straussenzucht gewagt.

Ein mysteriöses Tier konnte bislang noch nicht identifiziert werden, obwohl es etliche Augenzeugen gesehen haben wollen. Das einzelgängerische Habeby, ein schafartiges und nachtaktives Tier, soll in den Bergen und Hügeln des Betsileolandes leben. Die Académie Malgache setzte in den 1930er Jahren sogar eine Prämie für ein Habeky aus: tot oder lebendig. Bislang hat niemand dieses seltsame Tier beigebracht.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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Franz Stadelmann

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