Tierwelt
Seit
wohl mindestens 160 Mio. Jahren schwimmt die Insel Madagaskar
losgelöst von Kontinentalafrika im Indischen Ozean. Dies
verhinderte ein Übersetzen von überlegenen Nachwanderern
aus der Tierwelt, die sich allmählich in Afrika
entwickelten. Daher konnten sich die archaischen Ersteinwanderer
auf der abgeschirmten Insel Madagaskar ohne Druck im Verlauf von
Jahrmillionen ausbreiten und stark spezialisieren. Diese
Vielfalt ist auffallend wie auch die Absenz einer 'typisch
afrikanischen' Fauna. Denn in Kontinentalafrika entwickelten
sich die grossen Säugetiere erst vor etwa 65 Mio. Jahren,
also nach der Loslösung Madagaskars, sodass heute auf
Madagaskar kein Grosswild (Elefanten, Zebras, Giraffen,
Antilopen, Büffel) anzutreffen ist, auch keine Löwen, Hyänen
und Affen. Ebenso fehlen Kröten, Salamander und echte
Giftschlangen vollständig.
Viele
madagassische Tierarten weisen noch immer eine enge
Verwandtschaft mit Artgenossen in Südamerika, Australien und
Afrika auf und sind somit als Relikte einer früheren
Gondwanafauna einzuordnen. So zum Beispiel Spinnenarten oder
auch archaische Tausendfüssler.
Der
generelle Eindruck ist, dass Madagaskar den Grundstock an
Gondwanafauna übernommen hat, ihn nicht weiterentwickelt,
jedoch breit variiert hat. Das heisst, es gibt wenige Familien
und Gattungen, aber ausserordentlich viele Arten. Interessant
ist, dass etliche Arten auch in Madagaskar nur in geografisch
sehr limitierten Zonen vorkommen, und dies trifft seltsamerweise
auch auf die Vögel zu. Jede ökologische Nische wird
von ganz spezifischen Tieren besetzt, wobei der Regenwald mehr
Nischen bietet als der Trockenwald. Dies führt so weit, dass
gleiche Nischen zuweilen doppelt besetzt sind: von tagaktiven
und von nachtaktiven Tieren.
Zu
ihrer Verteidigung haben viele Tiere keine Aggressionswaffen
entwickelt, sondern sich zu verblüffenden Tarnkünstlern
entfaltet, insbesonders die Stabheuschrecken und
Gottesanbeterinnen, die sich täuschend ähnlich das
Aussehen von Blättern und Ästen geben können.
Durch
die lange Isolation hat sich in Madagaskar eine ganz
eigenwillige Fauna entwickelt. Madagaskar beherbergt dreiviertel
der Lemurenarten der Welt und zweidrittel der Chamäleonarten.
70 - 80 % der Tiere sind endemisch: es gibt sie nur in
Madagaskar.
Doch
die Fauna Madagaskars ist stark gefährdet. Insbesonders der
Mensch und seine Aktivitäten (Brandrodung, Buschfeuer,
Jagd) haben dazu geführt, dass sehr viele Arten bereits
ausgerottet sind. Andere stehen vor dem Aussterben, wie etwa die
votsotsa, eine kaninchengrosse madagassische Springratte, auch
Madagaskarratte genannt.
Die
rund 100 Säugetierarten sind durchwegs endemisch, ausser
den Fledermäusen und den von den Menschen im Laufe der
Besiedlungsgeschichte eingeführten Säugern. Und ausser den
Walen und Robben.
Die
grössten Säugetiere sind die bis zu 60 kg schweren
Lambo (wilde Eber), die fast überall auf der Insel leben und
des Fleisches wegen gejagt werden. Aber auch, weil sie die
Pflanzfelder der Bauern nach Wurzeln durchwühlen. Bemerkenswert
ist, dass der madagassische Name für das Wildschwein (lambo) in
indonesischen Sprachen Rind bedeutet. (Das Wildschwein wurde früher
mit dem Blasrohr gejagt, eine Methode, die sich heute nicht mehr
findet. Ebenso ist es interessant festzustellen, dass der noch
vor 400 Jahren nachgewiesene Gebrauch von Pfeilbogen inzwischen
völlig verschwunden ist.) Die Jagd spielt heute kaum eine
Rolle mehr in der Ernährung der Bevölkerung. Vögel
und Kleintiere werden gelegentlich gejagt, allerdings mehr zum
Spass der Jugend als zum Fleischverzehr. Die zyklisch
auftretenden Wanderheuschrecken hingegen werden gezielt gefangen
und gegessen.
Die
berühmtesten Vertreter der madagassischen Fauna sind die
Lemuren. Madagaskar ist schlichtweg das Land der Lemuren. Frühere
Wissenschaftler sprachen gar vom verschollenen Kontinent Lemuria,
dem sie Indien, Malaysia und Madagaskar zuordneten.
Halbaffen
(Lemuren), die Vorfahren der Affen, lebten früher auch auf der
nördlichen Erdhälfte. Rund 50 Millionen Jahre alte
lemurenartige Fossilien aus der Familie der Adapidae fand man
auch in Europa und in Amerika. Diese ersten Primaten hatten
kleine Gehirnvolumen und hingen eher vom Geruchssinn als vom
Augenlicht ab. Nach dem Abdriften Madagaskars entstanden vor 30
Millionen Jahren in Kontinentalafrika die Affen und
Menschenaffen und verdrängten dort die Halbaffen, die sich
zu den hasenkleinen Galago-Arten (Buschbabies) entwickelten. Die
Lemuren auf Madagaskar, die alle von der gleichen Halbaffenart
abstammen, behaupteten sich, entwickelten sich jedoch nicht über
diese Stufe hinaus. Sie blieben beispielsweise in hohem Masse
abhängig von ihrem Geruchssinn und von Geruchsmarkierungen
als soziales Identifikationsmittel. Doch sie splitterten sich in
etliche Arten auf. Zu ihrem Überleben trug der Mangel an
Feinden bei und auch, dass sie ökologische Nischen ausfüllten,
die ihnen von so gut wie keinen Nahrungskonkurrenten streitig
gemacht wurden. Die Lemuren haben sich den ökologischen
Bedingungen stark angepasst, so sind einzelne Arten nur in
beschränkten Vegetationszonen mit ihrem spezifischen
Lebensraum zu finden. Oft gibt es zwei Arten: eine, die sich den
Gegebenheiten des Dichtwaldes angepasst hat und eine zweite, die
sich im lockeren Gebüsch der trockenen Gebiete aufhält.
Die Anpassung geht so weit, dass der Wieselmaki während der
Trockenzeit - wenn andere Tierarten in eine Trockenstarre fallen
- seinen eigenen Kot frisst.
Lemuren
sind gesellige Säugetiere und leben oft monogam in
Gruppenverbänden. Sie halten sich zumeist in Baumkronen auf
und ernähren sich von Blättern, Bambus und Früchten.
Etliche sind nachtaktiv, einige bewegen sich allerdings auch
tagsüber in den Baumwipfeln. Die grösseren Lemurenarten
sind meist tagaktiv. Lemuren halten sich in genau begrenzten
Revieren auf, bewacht von den Männchen, die bei Gefahr
sofort eindringliche Warnrufe ausstossen. Fettreserven werden im
Schwanz angelegt. Das Baby klammert sich am Fell der Mutter
fest, wenn sie von Baum zu Baum springt. Die Lemuren sind die
wichtigsten Verbreiter von Samen in den madagassischen Wäldern.
Erst
mit dem Mensch kam ein Feind der Lemuren auf die Insel. Zwar
werden die Lemuren nicht regelmässig gejagt. Doch die
zunehmende Degradierung des Lebensraumes, in dem die Lemuren oft
nur eine schmale Nische ausfüllen, gefährdet ihre Überlebensmöglichkeiten
zusehends. Über ein Dutzend - und vor allem die grösseren
Arten - sind bereits ausgestorben. So unter anderem der im 17.
Jahrhundert von Flacourt mit Angst beschriebene tratratratra,
der so gross wie ein zweijähriges Kalb war. Ebenfalls nur
noch als Knochenüberreste sind gigantische Lemuren von der Grösse
eines Gorillas wie Megaladapis, Archaeoindris und
Paleopropithecus erhalten. Sie waren mit über 15 Kilo
Lebendgewicht eher Bodenläufer als Kletterer. Die
ausgestorbenen Lemurenarten waren vor allem tagaktive Arten, was
womöglich doch darauf hindeutet, dass sie von den damaligen
Menschen intensiver gejagt wurden als dies heute der Fall ist.
Doch
auch in unserer Zeit sind etliche Arten vom Aussterben bedroht:
vielleicht ist inzwischen der Grosse Bambuslemur bereits
ausgestorben. Andere sind auf kleine Reviere beschränkt,
wobei ihr Lebensraum und ihre ökologische Nische einer
ungewissen Zukunft entgegensehen. Andererseits wurde seit 115
Jahren unerwartet wieder eine völlig neue Primatenart
entdeckt. 1987 fand der Zoologe Bernhard Meier von der Bochumer
Ruhr-Universität aufgrund der Information einer französischen
Primatenforscherin in Ranomafana den Goldenen Bambuslemur. Der
Name kommt von der Essgewohnheit dieses Tieres: es ernährt
sich nur vom Mark spezieller Bambusschösslinge, die für
andere Tierarten tödlich wären. Der Goldene
Bambuslemur kommt wahrscheinlich nur noch in wenigen, kleinen
Gruppen vor und wurde womöglich kurz vor dem Aussterben
noch 'entdeckt'.
In
Madagaskar leben heute weniger als 30 Lemurenarten. Die
Einteilung in eine eigene Art oder eine Unterart ist für
einzelne Lemurengruppen noch immer umstritten. Es werden - je
nach Klassifizierung - fünf oder sechs Lemurenfamilien
unterschieden. Die kleinsten Vertreter sind die winzigen
Mauslemuren von wenig mehr als 50 Gramm Körpergewicht, die
fast überall in Madagaskar (ausser auf dem Hochland) leben,
aber sehr selten zu beobachten sind. Der flinke Mausmaki ist
zugleich der kleinste lebende Primat der Erde.
Am
bekanntesten sind wohl die mausgrauen Katta-Lemuren mit ihrem
schwarz-weiss geringelten Schwanz. Die zumeist tagaktiven Katta
sind als einzige Lemuren keine reinen Baumbewohner, sie halten
sich ebensoviel auf dem Boden auf.
Die
wollhaarigen und schwanzlosen Indri-Indri hingegen sind die grössten
heute noch lebenden Lemuren. Sie haben hundeartige Schnauzen,
schwarze Köpfe, ein graues Fell und verursachen einen
durchdringenden, klagenden Schrei, der kilometerweit zu hören
ist und von den Madagassen mit 'singen' umschrieben wird. Die
Betsimisaraka an der Ostküste nennen sie babakoto (Vettern) und
glauben, dass die Verstorbenen erst Indri werden, bevor ihren
Seelen in den Gräbern Ruhe finden. Daher werden die Indri
auch nicht gejagt. (Der Name Lemure ist lateinischen Ursprungs:
Lemuren waren die Geister der Verstorbenen bei den Römern.)
Grazil
wie ein Balletttanz muten die leichtfüssigen Bewegungen der
weissbraunen Sifaka an, wenn sie seitlich auf den Hinterbeinen hüpfend
eine Ebene durchqueren. Sie lieben es, wie die Katta auch, sich
des morgens von der Sonne erwärmen lassen, wobei sie die
Arme wie im Gebet von sich strecken.
Das
struppige Fingertier (Aye-Aye) erfüllt die Rolle der in
Madagaskar nicht vorkommenden Spechte: mit seinen
Fledermausohren horcht es die Baumstämme nach Larven ab und
kratzt sie mit seinen langen Fingern aus den Baumrinden. Liebend
gern vergreift sich das katzengrosse Aye-Aye auch an Kokosnüssen,
weshalb dieses scheue und nachtaktive Tier von den Dorfbewohnern
gejagt wird. Doch die Leute fürchten sich gleichzeitig vor
diesem nachtschwarzen Tier, weil es den Tod ankünden soll.
Aye-Aye haben nebst ihrer eigenartigen Fingerhand mit einem
extrem dünnen Mittelfinger als weitere zoologische
Eigenartigkeit stetig nachwachsende Zähne.
Die
weiteren Landsäugetiere Madagaskars sind nur äusserst
selten in freier Wildbahn zu beobachten. So etwa die
faustgrossen igelartigen Tenrek, die von Insekten leben. 32
verschiedene Arten dieser stacheligen Tiere leben auf der Insel.
Auf
Madagaskar leben 10 Arten Raubtiere, alle sind mit der
Schleichkatze (Mungo) verwandt. Die braunen, fellbehaarten und
nachtaktiven Fossa sehen einer Katze ähnlich, sind jedoch länger
und spitzer. Der Fossa, auch Ferox oder Frettkatze genannt, hält
sich als ausgezeichneter Kletterer vor allem in Bäumen der
Ostküste auf. Es ist das grösste madagassische Raubtier
mit einer Länge von bis zu 1,5 Metern einschliesslich des
buschigen Fuchsschwanzes und wiegt um die 10 kg. Er jagt
Kleintiere und ebenso Lemuren.
Fledermäuse
finden sich in der Abenddämmerung überall auf der Insel
und werden von den Leuten als willkommene Spezialität
gegessen. Im Süden sind tagsüber ruhende Flughunde an
Astgabeln zu beobachten. Nachts schwirren sie mit ihren Flügeln,
die eine Spannweite von bis zu einem Meter aufweisen, durch die
Lüfte auf der Suche nach einer Beute.
Die
madagassische Vogelwelt ist ärmer als jene in Afrika oder
in anderen tropischen Regionen. Nur 52 Prozent der 256 bekannten
Vogelarten sind
endemisch, und dies sind vor allem Waldvögel. Etliche der
vertretenen Arten stammen ursprünglich aus Asien und nicht aus
dem benachbarten Afrika.
Es
gibt keine Aasgeier und keine Spechte, aber insgesamt 16 Arten
Raubvögel, Falken, Eulen, Adler und 65 Arten Singvögel.
Und drei Arten von Papageien, die allerdings mit ihrem
mausgrauen Federkleid mit den farbenprächtigen Vertretern
anderer Kontinente nicht konkurrieren können.
Viele
Vogelarten werden gejagt und gegessen. Madagaskar ist eines der
Ziele für Wandervögel aus Afrika und dem Mittelmeergebiet,
einige brüten in Madagaskar.
Und
doch sind äusserst seltene Vögel zu beobachten, wie
etwa der Mesite, ein Waldbewohner mit einer blütenweissen
Brust, der in Bodennähe nistet und auf der Flucht eher läuft
als fliegt.
Von
den Greifvögeln sind die Falken am weitesten verbreitet.
Der mit seiner Flügelspannweite von zwei Metern mächtige
Fischadler hingegen ist am Rande des Aussterbens. Nur noch ein
paar Dutzend Paare brüten an der Westküste. Noch unsicherer
ist das Weiterbestehen des in Waldgebieten lebenden
Schlangenadlers. Seit 1935 wurde kein Exemplar mehr gesichtet.
Die kleine Hoffnung besteht zwar, dass er in den - wenigen -
unberührten Dichtwaldzonen des Nordostens noch weiterlebt.
Zwei
Arten von putzigen und nicht menschenscheuen Eisvögeln (vintsy)
leben auf der Insel, der eine mit einem blauen Kleid, der andere
mit einem orangen Rücken und weisser Brust. Dieser
Charaktervogel wird von der WWF-Zeitschrift Vintsy als Logo
benutzt. Vintsy ist mit einer Auflage von 50'000 Exemplaren die
grösste madagassische Publikation und setzt sich für
ökologische Belange in Madagaskar ein. Das auch von der
Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (DEZA) mitfinanzierte
Journal richtet sich vor allem an jugendliche Leser.
Als
blütenweisse Tupfen in den grünen Reisfeldern sind im ganzen
Land Reiher zu beobachten, insbesonders die in Begleitung von
Vieh zu sehenden, schneeweissen Kuhreiher. Oder der
schieferblaue Reiher, der seine Beute fischt, indem er mit
seinen Flügeln einen Kreis abdunkelt und in dessen Mitte dann
mit dem Schnabel auf die Beute einsticht.
Riesige
Schwärme von rosafarbenen Flamingos finden sich in Küstenlagunen
westlich von Port-Bergé und in der Region von Tulear an
Binnenseen, vor allem beim Lac Tsimanampetsotsa.
Den
Fody, eine braun-graue Spatzenart, trifft man allerorts auf der
Insel, oft in schwatzenden Gruppen. Der Rücken und die Brust
der Männchen färben sich knallrot während der
Paarungszeit von November bis April (Regenzeit). Sein häufiges
Vorkommen ist aber auch ein Zeichen und eine Folge der
Naturzerstörung, denn er kommt vor allem in degradierten Wäldern
und in Savannen vor. Auch in städtischen Gebieten kann
dieser anpassungsfähige Winzling überleben.
Madagaskar
liegt mit über 5000 km zu weit im Norden für Pinguine. 1956
jedoch wurde ein Pinguin im Süden der Insel gesichtet:
wahrscheinlich wurde er auf einem Schiff mitgenommen. Die sich
von Fischen ernährenden Albatrosse bauen ihre Nester auf
den subarktischen Inseln und segeln mit ihren Flügeln von 2,5 m
Spannweite tausende von Kilometern übers Meer. Zuweilen kommen
sie aus dem Süden von der Insel Crozet (2500 km von Madagaskar
weg) oder von Kerguelen (3500 km) bis an die Küsten
Madagaskars.
Auf
Madagaskar finden sich rund 150 endemische Amphibienarten. Die
Frösche leben meist in feuchten Waldgebieten des Ostens,
darunter auch Baumfrösche und zwei Arten von Riesenfröschen,
die über 10 cm gross werden und auch gegessen werden. Einzelne
Arten sind fast militärisch moosgrün getarnt, braungrau
wie ein Baumstamm, braun wie trockene Blätter - oder aber
auffällig grellrot wie der fette Tomatenfrosch oder süsslich
orange wie das zierliche Goldfröschchen (Mantella), das
keine zwei Zentimeter lang ist. Diese zierliche Bewohnerin der
feuchten Biotope wird oft Opfer der Sammeltätigkeit von
'Tierliebhabern' und Tierexporteuren. Der weitverbreitete
Ochsenfrosch hingegen wurde zur Insektenbekämpfung aus
Asien eingeführt und breitet sich durch seine Gefrässigkeit
stetig aus.
Etwa
260 Reptilienarten leben auf Madagaskar, der allergrösste
Teil davon (95 - 99%) ist endemisch.
Es
gibt nur noch eine Art Krokodil auf Madagaskar, nachdem die grösseren
Vertreter dieser Panzerechsen ausgestorben sind. Das heute noch
- wenn auch selten - anzutreffende Nilkrokodil (voay oder mamba
genannt) wird um die 6 m lang und ist für den Menschen das
einzige gefährliche Tier Madagaskars. Es findet sich noch
immer in etlichen Flussläufen und insbesonders im Unterlauf
des Betsiboka. Das Krokodil gilt in vielen Regionen als
Reinkarnation der Ahnen und wird wegen seiner Kraft verehrt, wie
beispielsweise in einem heiligen See bei Anivorano. Krokodilzähne
wurden und werden von den Madagassen als kraftvolle Glücksbringer
getragen. Doch trotzdem wurde und wird es intensiv gejagt,
insbesonders wegen des - für den Touristenmarkt gesuchten -
Leders. Noch immer werden Taschen, Schuhe und Geldbeutel aus
Krokodilleder mitten in der Hauptstadt frei verkauft - und
offenbar auch gekauft. Eine kommerzielle Krokodilfarm findet
sich in der Nähe des Flughafens Ivato.
Die
Echsenpopulation ist ausgesprochen variationsreich. Über
180 Arten Eidechsen, Geckos und Chamäleons tummeln sich in
den unterschiedlichen Biotopen der Insel. Auch sie sind
teilweise so getarnt, dass sie sogar auf Fotos schwer
auszumachen sind. Andere wiederum sind auffallend gezeichnet mit
farbigen schillernden Mustern. Die grössten Chamäleon
mit ihren urweltlichen Köpfen können bis zu 80
Zentimeter lang werden, während die kleinsten Vertreter nur
einen Zentimeter lang sind. Ihre Augen bewegen sich unabhängig
voneinander, ebenso auffallend ist ihr zögerliches
Schreiten. Regungslos warten sie auf ihre ahnungslose Beute
(Insekten, Ameisen). Im geeigneten Moment schiesst die mehr als
körperlange, aufgerollte Zunge auf die Beute zu, die an der
klebrigen Zungenspitze hängen bleibt. Auf die Chamäleon
beziehen sich viele madagassische Sprichwörter, die zu
Umsicht und Bedachtheit mahnen. Insgeheim fürchten sich die
Madagassen vor diesen Relikten einer fernen Urzeit und glauben
auch, dass der Biss dieser Tiere tödlich sei.
Zwei
Arten von riesigen Landschildkröten sind ausgestorben. Es
bleiben 5 Arten Landschildkröten, 4 Arten Meeresschildkröten
und 4 Arten Süsswasserschildkröten übrig. Von den
Landschildkröten sind 4 endemisch, wovon die im trockenen Süden
lebenden und bis zu 40 Zentimeter langen sokaka
(Strahlenschildkröte) wegen ihrer auffallenden Rückenzeichnung
am bekanntesten sind - und somit gefährdet. Auf dem
schwarzen Rücken verlaufen gelbe Striche wie Sonnenstrahlen weg
vom Zentrum eines jeden Segments der Rückenplatten. Die
Schnabelbrustschildkröte hat wohl trotz eines
Arterhaltungsprojektes mit der Aufzucht von Jungtieren das
kritische Stadium der Ausrottung erreicht. Für einige Ethnien
ist das Essen von Schildkröten fady (tabu), andere wie die
Sakalava und Vezo, benutzen Schildkröten für ihre Rituale.
Drei
Familien Schlangen und Blindschleichen leben in Madagaskar,
unterteilt in mindestens 62 Arten. Meist sind es Nattern (50
Arten), nur drei Boa-Arten sind bekannt, die zwei bis drei Meter
lang werden. Diese lebendgebärende Riesenschlange hat Verwandte in Südamerika, jedoch nicht in
Afrika, wo die Boa von den aggressiveren Pythons (die es in
Madagaskar nicht gibt) verdrängt wurde. Keine der Schlangen
ist für den Menschen gefährlich, doch insbesonders die Boa
werden gejagt und gegessen und ihre Haut zu Leder verarbeitet.
Die
Welt der wirbellosen Tiere ist noch in grossen Teilen
unerforscht. Madagaskar hat beispielsweise eine der
variationsreichsten Landschneckenpopulationen der Erde. Von den
- bislang bekannten - über 380 Arten sind mindestens 361
endemisch.
Es
gibt rund 12 verschiedene Skorpionarten, die jedoch klein sind
und deren Stich schmerzhaft, aber nicht tödlich ist für
den Menschen.
Von
den weit über 400 Spinnenarten sticht die langbeinige Nephila
heraus: sie erstellt derart starke, riesige Spinnweben, dass früher
daraus lamba (Tücher) für die Merina-Könige gewoben
wurden.
Auch
eine der Schwarzen Witwe verwandte Art lebt in Madagaskar. Die
schwarze erbsengrosse Spinne mit leuchtendem Rot auf dem Rücken
ist unter dem Namen menavody bekannt.
Zehntausende
von Insektenarten gibt es auf Madagaskar, die meisten davon sind
jedoch nicht endemisch. Doch viele machten eine spezifische
Diversifizierung durch.
Libellen
und Termiten finden sich vor allem im trockenen Westen und Süden.
Die Termiten bauen allerdings nicht die mannshohen Dome wie ihre
Artgenossen in Afrika, sie begnügen sich mit kniehohen,
pilzartigen Bauten.
Als
Meister der Tarnung gelten die Stabheuschrecken, ihr Aussehen lässt
sie wie ein Holzästchen oder wie ein Stück Baummoos
erscheinen. Sie können bis zu 25 cm lang sein. Eine Plage können
die Heuschrecken und Wanderheuschrecken werden, wenn sie alle
paar Jahre in Millionen über das Land herfallen und
dramatischen Schaden anrichten. Die Leute im Westen und Süden
schätzen die Heuschrecken als köstliche Delikatesse.
Die
Tausende (rund 20’000) von verschiedenen Käfern sind
zumeist endemisch, einzelne Arten werden mehrere Zentimeter
lang, andere haben nashornartige Köpfe oder ein ungewöhnliches
Aussehen wie der bizarre männliche Giraffenkäfer,
dessen leuchtend roter Körper in einen überlangen,
geknickten Hals übergeht.
Obwohl
in Madagaskar nur etwa 300 Arten vorkommen, ist die Grosse Insel
auch ein Paradies von Motten und Schmetterlingen, die in allen
Farben schillern und spektakuläre Muster aufweisen - oder
trockenen Blättern oder verwitterten Baumrinden
gleichen. Sie können so gross wie eine Handfläche
sein, besondere Exemplare werden gar bis zu 25 cm lang. Einzelne
Schmetterlingsarten sind von Sammlern speziell gesucht,
beispielsweise der auf schwarzem Grund grün-blau-orange
schimmernde urania. Etliche Schmetterlinge sind inzwischen vom
Aussterben bedroht. Aus den Kokons der Brocera-Motte wurden früher
im Betsileoland Seidenfäden gewonnen, um daraus Totentücher
zu weben.
Fliegen
und Mücken gibt es in grosser Menge, störend sind
stecknadelgrosse Fliegen mit weissen Flügelchen (mokafohy), die
an Stränden leben und juckende Stiche verursachen. Die
weibliche Anopheles-Stechmücke überträgt Malaria und
gedeiht insbesonders im feuchtheissen Klima der Ostküste.
Wespen
bauen graue papierene Nester und Bienen sammeln den geschätzten
Honig. Der madagassische Name für Bienen ist renitantely, was
Mutter des Honigs bedeutet. Baumameisen errichten in Astgabeln
Lehmnester, die bis einen halben Meter dick werden. Oder sie
errichten Nestkuppeln, die wie ein abgestorbener Baumauswuchs
aussehen. Zikaden beginnen ihr zirpendes Konzert beim
Eindunkeln. Eine Zikaden-Art (ptyelus goudoti) lebt auf den
Jacarandas, von denen während der Blütezeit im November
dicke Tropfen fallen, weil sich die Larven eingraben. Im dichten
Wald leben kleine Blutegel (dinta), die sich bei Waldspaziergängen
überall an der Haut und gar an den Augenlidern festklammern.
Im
Indischen Ozean schwimmt eine Vielzahl an Fischen: Schwertfisch,
Rochen, Barracuda, Capitain und viele mehr. Sie alle werden
gefischt und sind in Restaurants zu haben, ebenso wie
Tintenfisch, Langusten, Krabben und Austern.
Haifische
bilden vor allem an der Ostküste eine Gefahr für Schwimmer,
besonders in der Umgebung der Hafenstadt Tamatave. Selten nur
wird Haifisch in Restaurants angeboten.
In
den Mangroven der Westküste leben amphibische Fische, deren
Flossen mit Saugnäpfen versehen sind und die sich während
der Ebbe an den Mangrovenstämmen festsaugen.
Vor
Tulear und um Nosy Be finden sich grosse Korallenriffe mit ihrer
farbenprächtigen Flora und Fauna. Diese Unterwasserwelt hat
sich zu einem paradiesischen Ziel für Schnorchler und Taucher
entwickelt, die sich an den rosa und weissen Korallengebilden
und den in allen Regenbogenfarben schillernden Fischen nicht
satt sehen können.
Zwischen
Ste. Marie und der Hauptinsel ziehen im Juli und August Wale
(Blauwale und Buckelwale) bis in die Bucht von Antongil. Die
Bewohner von Ste. Marie jagten früher diese 30 bis 50 Tonnen
schweren Säugetiere, wenn sie die nur wenige Kilometer
breite Meerenge westlich von Ste. Marie durchschwammen. In der
ruhigen und windgeschützten Bucht von Antongil gebären die
15 bis 20 Meter langen Tiere ihre Jungen und ziehen im September
wieder nach Süden in die arktischen Gewässer.
In
der Bucht von Antongil und auch an der Westküste sind - selten
zwar - Dugong (Seekühe; Säugetiere) zu beobachten.
Delphine bevölkern die Küsten im Süden Madagaskars und
sind des morgens in der Bucht von Fort-Dauphin keinen Steinwurf
vom Ufer entfernt zu sehen. Das Fischervolk der Vezo an der
Westküste hatte - früher jedenfalls - zu den Delphinen eine
sehr enge Beziehung. Gestrandete Delphine wurden in Totentücher
gewickelt und wie Familienmitglieder begraben.
Die
unzähligen Süssgewässer sind mit rund hundert Arten
Fischen bevölkert. Zu den einheimischen Arten wurden in den
vergangenen Jahrzehnten aus dem Ausland eingeführte Arten
ausgesetzt: Karpfen, Forellen, sechs Sorten Tilapia und
Black-Bass. Auch der Gambusia wurde 1929 aus Amerika eingeführt.
Dieser fingerlange Fisch frisst die Larven der Malaria übertragenden
Anopheles-Stechmücke. Die Seen und Flüsse werden befischt,
ebenso wie die Reisfelder.
Eine
seltene Art Fisch lebt im Wasser von Höhlen und Grotten im
Norden und im Südwesten. Die rund acht Zentimeter langen Fische
haben kein Pigment und sind vollkommen blind. Auch in den
Grotten in der vulkanischen Region von Antsirabe leben blinde Höhlenfische
und Garnelen.
Die
ersten Einwanderer brachten schon vor Jahrhunderten neue Tiere
mit: Zebu, Hund, Katze, Huhn, Schaf, Ziege, Schwein und -
wahrscheinlich - das
Perlhuhn, das heute in verwildertem Zustand lebt.
Auch
die Europäer brachten neue Tierarten nach Madagaskar:
Pferde finden sich heute auf dem Hochplateau, jedoch nur in
geringer Zahl. Noch seltener trifft man auf Esel, die in ihrer
Verbreitung äusserst minim sind. Als Zugtiere haben Pferd
und Esel keine Verbreitung gefunden, ausser gerade in der
Hauptstadt, wo noch heute wildwestartige Pferdekutschen für den
Personentransport eingesetzt werden.
Ein
Versuch, die Zucht von Angora-Ziegen mit Teppichweberei zu
verbinden, hatte im Süden um Ampanihy nicht den gewünschten
Erfolg. Auch die Einführung von Straussen in der trockenen
Region von Tulear war ein Fehlschlag. Erst seit den beginnenden
90er Jahre wurde in der Region von Morondava ein erneuter
Versuch mit Straussenzucht gewagt.
Ein
mysteriöses Tier konnte bislang noch nicht identifiziert
werden, obwohl es etliche Augenzeugen gesehen haben wollen. Das
einzelgängerische Habeby, ein schafartiges und nachtaktives
Tier, soll in den Bergen und Hügeln des Betsileolandes leben.
Die Académie Malgache setzte in den 1930er Jahren sogar eine Prämie
für ein Habeky aus: tot oder lebendig. Bislang hat niemand
dieses seltsame Tier beigebracht.
|