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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Sakalava

Der dünne Fluss Sakalava ist auf den üblichen Landkarten nicht eingezeichnet. Er fliesst von Norden herkommend in der Gegend der heutigen Autofähre in den Fluss Mangoky, der sich seinerseits in mehrere Deltaarme aufteilt und in der Nähe von Morombe (im Südwesten von Madagaskar) ins Meer strömt.

Zehn Kilometer nördlich des Mangoky am Sakalava in der heutigen Reisebene von Bengy siedelte vor Jahrhunderten ein Volk, das zum Nukleus des grossen Volkes des madagassischen Westens, der Sakalava, werden sollte. Die Gräber von zwei Brüdern, Söhne (oder jedenfalls Nachkommen) des Sakalava-Führers Andriamandazoala, der die Wanderung vom Südosten nach Westen geleitet hatte, befinden sich noch dort. Die Grabstätte von Andriamandazoala findet sich in Ankazomanga.

Die Herkunft der Volksbezeichnung Sakalava ist umstritten. Womöglich haben sie von diesem Fluss den Namen übernommen (langes Tal). Eine andere Erklärung führt den Volksnamen auf die madagassischen Worte sakany (Breite) und lavany (Länge) zurück und würde also 'die Leute der langen Ebenen' bedeuten. Eine weitere Hypothese führt Sakalava auf 'jene der Gegend von Isaka' zurück. Eher unwahrscheinlich erscheint der Versuch, Sakalava mit saka (die langen Katzen von saka, Katze) zu erklären.

Im Dunkel der madagassischen Geschichte scheint es aber erwiesen, dass sich dieses Volk im Schatten des Pic Boby, in der Ebene von Ivohibe, aufhielt. Dort werden diese Leute erstmals im 17. Jahrhundert als Maroseranana von Flacourt erwähnt. (Die Dynastie der Maroseranana erschien Mitte des 16. Jahrhunderts bei den Mahafaly. Sie übernahm die Führung der Sakalava und war verantwortlich für die schnelle Expansion der Sakalava.) Womöglich kamen die Vorfahren der Sakalava von der Südostküste, die ihrerseits unter dem Druck von neuen - islamischen - Einwanderern (Antaimoro) stand. Unklar bleibt jedoch, ob die Vorfahren der Sakalava aus der Region des Volkes der Anosy bei Fort-Dauphin kamen oder von jener der Antaisaka bei Vangaindrano.

Vom Pic Boby wanderten sie gegen Süd-Westen an den südlichen Mangoky bei Betroka, von dort dem Fluss Onilahy entlang nach Westen und zwischen den Gebirgen Isalo und Anavelona nach Norden bis zum Fluss Sakalava. Dort entstand das Dorf Bengy.

Der trockene Westen Madagaskars war damals fast menschenleer, nur die Unterläufe der Flüsse Morondava und Tsiribihina waren sporadisch besiedelt. Die Sakalava nannten das bereits dort wohnende Volk Tankarana (Leute der Felsen). Die Tankarana werden auch vom Priester Luis Mariano im 17. Jahrhundert erwähnt.

Zwischen den Flüssen Fiherenana (der in Tulear ins Meer mündet) und dem Mangoky bildete sich allmählich das Volk der Sakalava, das zwar befestigte Dörfer anlegte, jedoch halbnomadisch lebte. Die Sakalava waren vornehmlich Viehhalter mit viel Platzbedarf in den kargen Steppen, daher drückten sie gegen Norden und gegen Süden. Die kriegerischen Sakalava wiesen die südlich angrenzenden Mahafaly auf das südliche Ufer des Onilahy und stiessen vor allem auch gegen Norden vor. Erst errichteten sie ihre Hauptstadt in Maneva, später in Mahabo, beide Orte liegen östlich von Morondava. Der Menabe war bald unter ihrer Kontrolle. Die dort lebenden Völker wurden integriert oder versklavt: die Sakalava strebten danach, ihre andevo (Herde) laufend zu vergrössern, dazu zählten Rinder ebenso wie Sklaven. Unter der Leitung des mächtigen Andriandahifotsy, Grossenkel von Andriamandazoala, breiteten sich die Sakalava auch über den Fluss Tsiribihina nach Norden aus.

Der Sakalava-Führer Andriandahifotsy (der weisse Prinz) hatte von den Europäern, die regelmässig die Bucht von Saint-Augustin bei Tulear anliefen, Gewehre und Schiesspulver eingetauscht und somit eine militärische Überlegenheit erhalten. In weiser Voraussicht behielt er sich das Monopol der Feuerwaffen vor und kontrollierte den Handel mit den Seefahrern. Diese Monopolstellung sicherte seine Macht und ermöglichte seine Expansionspläne.

Seiner Macht bewusst hielt er Hof, empfing Gesandtschaften, so 1671 den Franzosen Desbrosses oder schickte eine Delegation zur französischen Handelsniederlassung nach Fort-Dauphin.

Doch seine Expansionspolitik beruhte nicht nur auf Waffen und Krieg, er ging auch taktische Heiratsallianzen ein. So wurden nach und nach verschiedene Völker des Westens integriert: Sakoambe, Voroneoke, Masikoro. Die besiegten und integrierten Völker wurden Vasallen der Sakalava. (Masikoro waren Bauern, die womöglich vor dem 10. Jahrhundert bis zum 16. Jahrhundert aus Mozambique einwanderten. Sie pflanzten Sorgho, Maniok, Süsskartoffeln und Mais an.)

Um 1685 starb Andriandahifotsy, der erste grosse König der Sakalava, er war im ganzen Südwesten dermassen bekannt, dass Flacourt diese Region schlicht das 'Land von Andriandahifotsy' nannte. (Andriandahifotsy nannte er Lahaye Fouchi).

Begraben wurde Andriandahifotsy in Maneva bei Mahabo am Morondava-Fluss. Sein posthumer Name wurde Andrianihananinarivo (der König, der tausend unterworfen hat).

Seine 17 oder nach anderen Angaben 19 Kinder wurden Chefs von Dörfern, wobei die ranghöheren volamena (Söhne der ersten Frau) über die wichtigeren Regionen herrschten. Die rangniederen volafotsy (Söhne von Frauen, denen der König polygam verbunden war) bekamen die unsicheren Grenzregionen zugeteilt. Diese Herrscher von marginalen Territorien trieben vor allem die Eroberungen und die weitere Expansion der Sakalava voran. Doch die Herrschaftsgrenzen der kriegerischen Sakalava blieben oft unklar und änderten sich je nach Machtverhältnissen.

Wie so oft, stritten sich auch die volamena um Nachfolge und Erbe des Königs Andriandahifotsy. Tsimanongarivo (posthumer Name: Andriamanetriarivo) setzte sich durch, indem er einen Bruder nach Süden schickte und den anderen, Andriamandisoarivo, mit den Königsreliquien nach Norden, damit die beiden ihre eigenen Reiche gründen konnten. So blieb der Menabe geeint unter dem als brutal bekannten König Tsimanongarivo. Der schiffbrüchige Seefahrer Robert Drury traf ihn zu Beginn des 18. Jahrhunderts und hinterliess keine sympathische Beschreibung des Königs.

Der Menabe erlebte jedoch eine Periode des Friedens, zerfiel aber infolge von neuen Erbstreitereien nach dem Tod von Tsimanongarivo. Der Nachfolgestreit führte zur Aufsplitterung des Menabe in zwei Reiche: Mahabo am Fluss Morondava und Sahadia beim Fluss Tsiribihina. Diese Gebiete kamen nach 1830 unter den Einfluss der Merina, widersetzten sich den Invasoren aus dem Hochland jedoch immer wieder und wehrten sich auch nachhaltig gegen die Kolonialdominanz der Franzosen ab 1895.

Tsimanato (posthumer Name: Andriamandisoarivo), zog also von seinem Bruder weg nach Norden und gründete gegen Ende des 17. Jahrhunderts im Norden das Reich Boina. Seine Hauptstadt lag bei der Mündung des Mahavavy in der Nähe der Bucht von Boina, 60 Kilometer südöstlich von Mahajanga im Ort Tongay. Dort befinden sich noch heute die Königsgräber (doany) von Bezavo.

Menabe und Boina wurden von den Sakalava als Zwillingskönigtümer betrachtet, denn beide bewahrten Reliquien von Andriamisara auf. Diese Reliquien werden heute noch sowohl in Belo-sur-Tsiribihina als auch in Mahajanga verwahrt und geehrt. Jene von Mahajanga werden jedoch heute von zwei königlichen Familien beansprucht - vor Gericht.

Auch der Sakalava-König in Boina stützte sich auf den florierenden Handel mit den Antalaotra (moslemische Händler) und den europäischen Seefahrern, was ihm den Zugang zu den begehrten Feuerwaffen verschaffte. 1703 standen ihm während eines Jahres rund 20 Militär-Ausbildner von zwei amerikanischen Handelsschiffen im Austausch gegen Sklaven zur Verfügung.

Tongay am Unterlauf des Betsiboka war Königsresidenz und Hauptstadt der Boina-Sakalava. Langani, eine alte Handelsniederlassung der Antalaotra im Mündungsdelta des Flusses Mahajamba, verlor an Bedeutung. Die Hauptstadt Tongay wurde später nach Marovoay am Unterlauf des Betsiboka verlegt.

Unbekannt ist, wann die heutige Stadt Mahajanga von Indern und Komorern gegründet wurde und der Königsstadt - und Grabstätte von König Andriamandisoarivo - Tongay den führenden Rang im Handel mit den Ausländern ablief. Kapitän O. L. Hemmy, der 1741 mit dem holländischen Sklavenboot De Brack Marovoay besucht, erwähnt die Stadt jedenfalls nicht. Das wichtigste Exportprodukt der Region waren Sklaven: der Menschenhandel machte Boina reich.

Das Königreich Boina expandierte nach Norden bis zum Fluss Sambirano bei Ambanja und gegen Osten hin bis zum Lac Alaotra. Sogar die Merina waren der Boina-Macht tributpflichtig und litten unter den wiederholten Razzien der Sakalava.

Wie oft in den feudalen Nachfolgeregelungen der madagassischen Könige trat nach dem Tod von König Andriamanetriarivo 1718 eine Schwächung durch die Nachfolger ein, erst die Königin Ravahiny, die von 1780 bis 1808 regierte, brachte wieder Stabilität in Boina, gestützt auf den Handel, der jetzt auf Mahajanga konzentriert war. Die Königin besuchte Andrianampoinimerina in Antananarivo und erlaubte ihm, über die Handelsstadt von Boina, Mahajanga, Sklaven zu exportieren und Waffen einzuführen. Andrianampoinimerina betrachtete sie als Vasalle, während die Sakalava dies eher umgekehrt sahen.

Königin Ravahiny war die letzte grosse Herrscherin der Sakalava, denn auf dem Hochland waren mit Beginn des 19. Jahrhunderts die Merina erstarkt und expandierten gegen die Küste hin, um einen direkten Zugang zum Aussenhandel und zu Feuerwaffen zu erlangen.

In den Häfen waren die Antalaotra tätig, reiche swahili-Händler, die mit königlichen Privilegien ausgestattet waren und praktisch das Handelsmonopol besassen. Ihre Schiffe fuhren Afrika an und segelten entlang der Westküste Madagaskars. Die arabischen Händler und die Antalaotra waren bis zum 18. Jahrhundert in der Boina-Gegend tätig. Die Europäer konzentrierten sich eher auf die West- und Süd-West Küste.

Die Macht der Sakalava-Könige war unumschränkt und beruhte auf einem gottähnlichen Status. Der König war heilig, begleitet von einem Zauberer und Wahrsager (moasy) und von Beratern (ranitrampanjaka). Das Königtum war vererbbar. Die Bestattungen nahmen mehrere Tage in Anspruch, die verstorbenen Herrscher wurden in königliche Grabstätten (doany) begraben (doany bedeutet einerseits königliches Grab aber auch königlicher Hof). Die berühmtesten doany befinden sich in Maneva, Mahabo, Mahajanga, Marovoay und in Belo-sur-Tsiribihina. Doch im riesigen Sakalavaland existieren noch viele weitere Grabstätten von ehemaligen Königen.

Die Grabstätte (doany) ist von einem Palisanderzaun umgeben und wird auch heute noch von einem Wächter (vatobe) betreut. Im Hof der doany steht ein kleines Haus, in dem in einem Zebuhorn die königlichen Reliquien (dady) aufbewahrt werden (Zähne, Haare, Fingernägel). Die verstorbenen Könige werden von den Sakalava noch als lebend betrachtet, wobei die dady ein Überleben des Königs auf Erden garantieren und seine Kraft weiterleben lassen. Daher verlangen die dady ab und zu, dass man ihnen die Umgebung, die Familie und die Gräber zeigt. Die Reliquien werden in regelmässigen Abständen in Öl getränkt und in Wasser gebadet. Diese Zeremonie wird im Sakalavaland fitampoha (königliches Bad) genannt. Diese Elemente weisen stark auf ostafrikanische Königsrituale hin.

Aus dieser Logik heraus hat ein lebender König ohne dady keine Legitimation zum Regieren. Und weil es im Sakalavaland noch immer traditionelle Könige und Adelsfamilien gibt, ist der gelegentliche Erbstreit um die dady auch verständlich.

Generell haben die Ahnen bei den Sakalava einen hohen Stellenwert. Heiler und Zauberer wachen über das Wohl der Gemeinschaft, die sehr viele fady beachten muss. Das Besessenheitsphänomen der tromba ist weit verbreitet: jemand - oft eine Frau - beginnt in Trance zu tanzen und zu zittern, hat Halluzinationen und kann Weissagungen machen und Heilungen vornehmen. Dies wird als Manifestation eines Verstorbenen - oft eines Königs - interpretiert.

Die Sakalava sind auch heute noch in ihrem Selbstverständnis vor allem Viehzüchter. Sie deplazierten sich leicht, ihre von Wehrzäunen umschlossenen Dörfer und Höfe werden bei Bedarf einfach verlegt.

Für ihre Toten bauen sie holzumrandete Grabmäler, die mit geschnitzten Stelen verziert sind, die Vögel, Menschenfiguren und sexuelle Darstellungen zeigen.

Die Sakalava leben auf einem Viertel der Fläche Madagaskars zwischen Tulear und Sambirano in einem schwach besiedelten Savannenland (oft weniger als 10 Einw / km2).

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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