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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Industrie

Aus der Kolonialzeit erbte Madagaskar eine industrielle Infrastruktur, die weitgehend von französischem Kapital abhing und französischer Geschäftsführung unterlag. In den 1960er Jahren wurden 65% des industriellen Umsatzes von französischen Firmen gemacht. Das private madagassische oder staatliche madagassische Kapital machten bloss 5% aus.

Noch 1972, im Jahr des Sturzes der franzosenfreundlichen Regierung Tsiranana, befanden sich 80% der madagassischen Ökonomie (Industrie, Handel und Grossplantagen) in den Händen von Ausländern, hauptsächlich Franzosen, Inder und Chinesen.

Die Dirigenten der Zweiten Republik unter Ratsiraka machten sich ab 1975 unverzüglich daran, die Schlüsselindustrien zu verstaatlichen und unter ihre Kontrolle zu bringen, ohne dass die betroffenen Unternehmen entschädigt wurden. Aus Grossgrundbesitz wurden Staatsfarmen (fermes d'état). Diese Massnahmen und die damit einhergehende unfreundliche Politik gegenüber dem Westen liessen die Mehrheit der fremden Fachleute und Kader abwandern. Die sie ersetzenden madagassischen Kader waren in etlichen Fällen unfähig und aus politischen Gründen ernannt, daher gerieten viele Unternehmen im Laufe der Jahre ins Trudeln. Kleinunternehmen blieben weiterhin in privaten Händen, wie auch - seltsamerweise - ein paar wenige Grossunternehmen (z.B. die Firma Henri Fraise) der Verstaatlichung entgingen.

So nahm die industrielle Produktion ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahren bis Mitte der 80er Jahren drastisch ab, noch verstärkt durch den chronischen Mangel an Ersatzteilen und Rohmaterialien. Auf dem Tiefpunkt der Krise, 1982, arbeitete die Textilindustrie zu 60%, die Druckereien zu 58%, die metallverarbeitende Industrie zu 10%. Die stagnierende Industrie verschlang nur noch Staatsgelder. Die industrielle Produktion nahm von 1980 bis 1988 jährlich um 1% ab.

Um ein schnelleres Wirtschaftswachstum zu erreichen, stürzte sich der Staat von 1975 bis 1979 in die Politik der 'investissements à outrance', doch diese forcierten Industrievorhaben liessen zahlreiche 'weisse Elefanten' entstehen: zu schnelle Planung, unklare Entscheidungskriterien, mangelnde Kontrolle des Bauverlaufes und Korruption ermöglichten unsinnige Industrieruinen. Die schlüsselfertig gekauften Fabriken wurden an verkehrsungünstigen Orten erstellt, wie eine Vanilleverarbeitungsfabrik in Fianarantsoa, über 1700 schlechte Strassenkilometer vom Produktionsgebiet in Sambava/Antalaha entfernt. Oder eine Lederfabrik in Ambositra in einem Gebiet mit nur schwachem Viehbestand und ungelöster Evakuation des toxischen Gerbungswassers. Oder die ZEREN, eine Düngerfabrik in Tamatave, die nie funktionierte.

Zwischen 1977 und 1985 stammten keine 10% der Investitionen aus privaten Quellen. Privates ausländisches Kapital kam keines mehr ins Land. Dafür verschuldete sich der Staat im Übermass.

Ohne den Fehlschlag zuzugeben, änderte Madagaskar in der zweiten Hälfte der 80er Jahre seine Wirtschaftspolitik und nahm somit zunehmend Abstand vom 'boky mena' und der 'charte de la révolution socialiste Malagasy'.

Der öffentliche Sektor kontrollierte Mitte der 1980er Jahre 167 staatliche und halbstaatliche Unternehmen. 1988 wurden sie auf Druck der Weltbank zur Privatisierung vorgesehen, doch bis 1990 waren nur 15 Firmen in private Hände übergegangen. Zum Teil nahmen die administrativen Belange eine äusserst lange Zeit in Anspruch, zum Teil fanden sich keine Käufer.

Die meisten der heute bestehenden industriellen Unternehmen sind PMI (Klein- bis Mittelunternehmen). Sie sind zu 49% in der Nahrungsmittelbranche tätig und beschäftigen rund 3% der aktiven Bevölkerung. Die Industrie erwirtschaftet 13 bis 15% (16,3% 1988) des PIB. Die Nahrungsmittel- und Textilindustrie produziert fast ausschliesslich für den heimischen Markt.

Mehr als die Hälfte der Unternehmen sind in der Provinz Antananarivo stationiert, wo sich rund 40% der Nahrungsmittelindustrie Madagaskars befindet, über 70% der Textilindustrie, 55% der holzverarbeitenden und 75% der mechanischen Industrie. Und wo sich mit den Städten Antananarivo und Antsirabe auch die grösste Konsummarkt der Insel befindet.

Die Städte Antananarivo und Antsirabe sind die weitaus bedeutendsten Industriemagnete des Landes. Diese Konzentration auf Imerina hat zwar historische Gründe, doch die beiden Industriestädte weisen aber auch die besten Infrastrukturen auf und Antananarivo ist in administrativen Belangen noch immer das uneingeschränkte Zentrum des Landes. Nicht zuletzt ist auch die Stromversorgung am ehesten gewährleistet: Strom für Antananarivo und Antsirabe kommt seit 1982 aus Andekaleka, dem grössten hydroelektrischen Programm Madagaskars, 125 km von Antananarivo weg.

Die Textilindustrie stellt etwa 30% der industriellen Produktion Madagaskars dar. Die Nahrungsmittelindustrie ist mit 40% (einschliesslich Zucker) der wichtigste Industriezweig. Diese Branche arbeitet fast ausschliesslich für den Binnenmarkt, ausser der Zuckerindustrie, die einen bescheidenen Teil exportiert.

Wie überall in Afrika floriert auch in Madagaskar die Bierindustrie, die - trotz der geringen Kaufkraft - steigende Verkaufszahlen aufweist. In Madagaskar werden jährlich 300’000 Hektoliter Bier getrunken, das heisst knapp 3 Liter pro Person.

Die STAR (Société Tananarivienne de Réfrigération et de Boissons Gazeuzes) verfügt über mehrere Fabriken und hat das Monopol in der Bierherstellung inne. Der Konzern - einer der grössten Betriebe Madagaskars - gehörte früher dem Staat, doch die Société Henry Fraise übernahm mit zwei anderen Privatinvestoren die Staatsaktien: aus einem Defizit von 2 Milliarden (1988) wurde ein Gewinn von 2 Milliarden (1989). STAR verkaufte 1990 294’233 Hektoliter Bier und 211’793 Hektoliter Sprudelwasser.

Das zum Konzern gehörende Unternehmen SEMA-EAU VIVE produzierte 1990 20’472 Hektoliter Tafelwasser der Marke 'Eau Vive'.

Das grosse Problem bleibt das Vorhandensein von Kapseln und von Flaschen. Das Leergut muss importiert werden, in Madagaskar gibt es keine Glasindustrie - mehr.

Die Bierindustrie importiert jährlich 3900 Tonnen Malz. Um von den Importen unabhängiger zu werden, lancierte STAR 1982 zusammen mit der französischen Entwicklungshilfe das Projekt MALTO mit dem Ziel, 5200 Tonnen Malz zu produzieren. Ausersehen sind die Gebiete von Itasy und die Osthänge des Ankaratra (Antsirabe), wo in Höhenlagen um 1500 - 1800 m Gerste als Fruchtwechsel zu Reis angepflanzt werden kann. Inzwischen pflanzen in der Gegend von Antsirabe bereits 3000 Familien Gerste an: 64 ha wurden 1987 bepflanzt und ergaben 47 Tonnen, 1990 betrug die Ernte bereits 2449 Tonnen Gerste. (100 kg Gerste geben 70 - 80 kg Malz. 13 kg Malz werden für einen Hektoliter Bier gebraucht.)

Der madagassische Stoffmarkt setzte 1990 um die 7500 Tonnen um, davon wurden 1900 Tonnen importiert. Der Import von Textilien ist zunehmend: 1988: 850 Tonnen; 1990: 1900 Tonnen; 1991 geschätzt: 3000 Tonnen. Die madagassische Firmengruppe SOCOTA, seit 1957 im Besitz der franco-indischen Familie Ismaïl, wurde 1979 zu 50,25% vom Staat übernommen, doch das Management blieb privat. SOCOTA gruppiert in Madagaskar zwei Unternehmensbereiche: die COTONA und die PNB. Die COTONA (Cotonnière d'Antsirabe) entstand 1957 aus der Société franco-malgache (SOCOFRAMA) in Antsirabe und beschäftigt heute 3000 Personen. 60 Millionen Meter Stoff können pro Jahr produziert werden. Damit dominiert COTONA den heimischen Stoffmarkt für Baumwolle und synthetische Stoffe, stellt 20% der Baumwollproduktion Madagaskars und liefert 55% der madagassischen Stoffexporte. Die zur COTONA gehörende CCB (Cultures cotonnières de la Bemarivo) produzierte 1989 in der Region um Port-Bergé auf 2300 ha 7000 Tonnen Baumwolle (3 t/ha), was 20% der gesamtmadagassischen Produktion entspricht. Die Ernte wird vollständig von der COTONA verarbeitet.

An der zu 51% der SOCOTA gehörende PNB (Pêcheries de Nossi-Be) ist der madagassische Staat zu 27% beteiligt und auch die EU (CEE) mit 10%. (Dies ist einer der ersten Fälle in Madagaskar, dass sich die EU an einer Firma direkt beteiligte.) Die PNB besitzt eine Flotte von 19 Schiffen und fängt 2500 Tonnen Crevettes pro Jahr. Die gesamte Fang wird exportiert, hauptsächlich nach Europa, in geringerem Mass auch nach La Réunion und nach Japan.

Zementfabriken finden sich in Mahajanga, Tamatave und Antsirabe. Die Produktion beläuft sich auf 40’000 Tonnen pro Jahr. Dies ist bei weitem nicht genügend: pro Jahr werden um die 250’000 Tonnen eingeführt, insbesonders aus Rumänien.

Madagaskar leistete sich während der Zweiten Republik in Fianarantsoa eine eigene Autofabrik. Das Staatsunternehmen IMI (Institut Malgache d'Innovation) entwickelte ab 1980 vier Modelle und präsentierte 1986 am Pariser Autosalon erstmals sein auf einem Renault-Chassis basierendes 4x4 Modell Karenjy (Bummler). Hergestellt wurden auch die Modelle Tily (Aufklärer) und Kalaza (Machete). Vorgesehen war die Produktion von 300 Einheiten pro Jahr, dies wurde später auf 120 Fahrzeuge reduziert - allerdings nie erreicht. Denn die etwas vierschrötig wirkenden Autos waren übermässig teuer, anfällig und kaum lieferbar. (In den 1960er Jahren wurden Fahrzeuge (vor allem 2CV, Berliet, Renault und Saviem) in Madagaskar montiert, die Unternehmen stellten allerdings die Produktion in den schwierigen 70er Jahren ein, ausser MATERAUTO, die bis 1982 durchhielt und 1988 nochmals einen Versuch mit der Montage von DAF-Lastwagen machte.)

Viele weitere Unternehmen finden sich in der Grenzzone zwischen artisanaler und industrieller Herstellung, die alle mit etlichen Problemen zu kämpfen haben: unregelmässiger Rohstoffnachschub, schwierige Ersatzteilbeschaffung, vornehmliche Fabrikation von Kleinserien und Mangel an Investitionskapital, ganz abgesehen von erheblichen Kommunikationsproblemen, konstanter Diebstahlgefahr und dubiosen Geschäftsgebaren von Zulieferanten und Kunden.

1989 wurde ein neues Gesetz zur Investitionsförderung geschaffen, das im Mai 1992 in Kraft trat und weit liberaler war als jenes von 1985, das es kaum geschafft hatte, fremde Investoren anzulocken. Innerhalb von 15 Jahren hoffte man nun, 85’000 Arbeitsplätze zu schaffen.

Somit hatte Madagaskar auch seit 1989 die legislativen Voraussetzungen für Freihandelszonen in Tamatave, Diégo-Suarez und Antananarivo geschaffen. Die dort domizilierten Unternehmen sollten ohne Zoll einführen können und keinen Ausfuhrzoll bezahlen. Generell wurde die Steuerbelastung auf 10% des Gewinns festgesetzt - nach einer Steuerbefreiung von 2 bis 15 Jahren. Zudem wurde den Unternehmen ein freier Kapitaltransfer und ein unbeschränkter Gewinnexport zugesichert. Das erste Freizonenunternehmen entstand 1990: das von einem französischen Mutterhaus gegründete Unternehmen CAPRICORNE wurde als Freizeit- und Sportkleidungshersteller aktiv. In der Hauptstadt liess sich auch das aus Mauritius stammende Textilunternehmen FLOREAL nieder, das inzwischen um die 900 Personen beschäftigt und Textilien für den Europäischen Markt herstellt.

Ende 1992 waren 69 Unternehmen als EZF installiert. 48% davon waren in der Bekleidungsindustrie tätig und 13% als Zulieferer der Textilindustrie. 13% betätigten sich im Kunsthandwerk und 10% in der Nahrungsindustrie. Zusammen boten sie Ende 1992 17’000 Arbeitsplätze, wobei sich 87% der Unternehmen in Antananarivo befanden. 55% der Unternehmen arbeiteten mit französischem Kapital, nur 14% der Finanzen stammten aus madagassischen Quellen.

Am 12. Januar 1991 setzte der damalige Premierminister Victor Ramahatra den Grundstein zur ZOFITO (Zone Economique Spéciale de Toamasina) in Morarano südlich von Tamatave. Die von der FAR EAST GROUP initiierte 400 ha grosse und 650 Mio. US-$ Investitionen benötigende Industriesiedlung soll - laut Plan – 78’000 Arbeitsplätze in 700 Unternehmen schaffen. Die gesamte Produktion der Zollfreizone muss exportiert werden. Ein Teil, so hofft Madagaskar, wird von Textilunternehmen aus Mauritius kommen, die durch die niederen Arbeitslöhne in Madagaskar angelockt werden können. Doch dadurch macht sich Madagaskar allerdings stark von der Konjunktur in Mauritius abhängig.

Dem Beispiel von Mauritius folgend, hofft Madagaskar auf das Anlocken von Industrien in Zollfreizonen. Bereits vor der ZOFITO von Tamatave erhielten sechs Unternehmen, alle in der Konfektionsindustrie und in Antananarivo tätig, den Status der EFI (Entreprises franches industrielles). Zu Beginn von 1993 hatten 70 Unternehmen den Status eines EFI, 70% des investierten Kapitals befand sich in französischen Händen und beschäftigte sich mehrheitlich im Textilsektor. Die südafrikanischen Investoren, in die grosse Erwartungen gesetzt wurden, blieben sehr zögernd. Erst zwei Unternehmen aus Südafrika waren 1992 in Madagaskar aktiv.

Doch was auf der Inselrepublik Mauritius zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit führte, hat anderswo nicht zwangsläufig die gleichen Effekte. Die eher ernüchternden Erfahrungen in Senegal, Liberia, Ghana, Togo und Zaire haben gezeigt, dass sich das 'Modell Mauritius' mit der ZFIE (Zone franche industrielle d'exportation) nicht beliebig reproduzieren lässt. Die Strategie der Zollfreizonen sieht vor, durch das Anziehen von fremden Investoren Deviseneinnahmen zu erhalten und Arbeitsplätze zu schaffen, zudem wird ein Transfer von Technologie erhofft, sowie eine Valorisierung von lokalen Ressourcen. Doch laut einer Studie beträgt der lokal zugefügte Wert nur um die 25% (Löhne, lokale Rohstoffe, Abgaben und Steuern), weil ein guter Teil der Materialien importiert wird. Auch der Transfer von Technologie bleibt letztlich bescheiden. In Mauritius hat die Politik der ZFIE um die 600 Unternehmen angezogen und 87’000 Arbeitsplätze geschaffen. 62% der Exporte stammen in Mauritius aus diesen Unternehmen.

1992 betrug der Anteil der in ZFI-Unternehmen hergestellten Produkte 5,5% der gesamten Exporte Madagaskars. Bei der Schaffung der ZFI 1990 hatte man erhofft, Kapital im Wert von 125,5 Mia. FMG anzulocken, 1992 waren lediglich 40,9 Mio. effektiv investiert, was jedoch 34% der gesamten privaten Investitionen entsprach.

Was der Versuch mit den Zollfreiunternehmen für Madagaskar bringt, bleibt bislang noch unklar. Von entscheidender Bedeutung wird die langfristige Wirtschaftspolitik der Dirigenten sein. Tatsache ist, dass die politischen Turbulenzen während des ersten halben Jahres 2002 viele Unternehmen dazu bewog, sich von Madagaskar zurück zu ziehen, dies galt insbesonders für die sich schnell deplazierende Textilindustrie.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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