Bevölkerungsstruktur
Gemessen
an seiner Fläche und der landwirtschaftlichen Potenz ist
Madagaskar mit einer Bevölkerungsdichte von bloss 15 bis 20
Pers/km2
stark unterbevölkert. Doch die Bevölkerung ist sehr
ungleich verteilt. 60% der Menschen lebt auf weniger als 20% des
Territoriums.
Nebst
den städtischen Ballungsgebieten gibt es
Konzentrationsregionen auf dem zentralen, östlichen
Hochland und an der Ostküste von Tamatave bis nach Vangaindrano
mit oft mehr als 40 Pers/ km2.
Hingegen ist der mittlere Westen (Moyen-Ouest) unterbevölkert,
ebenso wie der Menabe und das Gebiet der Bara, wo die Bevölkerungsdichte
oft unter 5 Pers/ km2
liegt. Im Norden und im Süden wohnen 5 - 15 Pers/ km2.
28%
der Bevölkerung lebt in der Provinz Antananarivo (48,5
Pers/ km2),
die mit 58’283 km2
weniger als 10% der Fläche Madagaskars ausmacht. Die rund
dreimal grösseren Provinzen Mahajanga und Tulear weisen
eine Bevölkerungsdichte von nur rund 8 Pers/ km2
auf.
1900
lebten rund 3 Millionen Menschen in Madagaskar. 1937 waren es
3,7 Mio. und 1958 betrug die Bevölkerung um die 5 Mio. 1970
war sie auf 6,7 Mio. angestiegen, 1980 waren es 8,7 Mio, 1990
lebten um die 12 Mio. Menschen auf Madagaskar. Mitte 1992 waren
es nach statistischen Berechnungen 11,9 Mio, wobei 5,6 Mio.
Menschen (47% der Bevölkerung jünger als 15 Jahre waren
und nur 4% älter als 65 Jahre waren. Die Lebenserwartung
beträgt 54 Jahre. (Bei der Erlangung der Unabhängigkeit
hatte sie 41 Jahre betragen.) 1992 lag die Lebenserwartung der Männer
bei 53 Jahren, jede der Frauen bei 56 Jahren.
Das
durchschnittliche Bevölkerungswachstum lag von 1980 bis
1989 zwar bei 2,8%, in anderen Jahren jedoch bei 3,2%, womit
sich die Bevölkerung innerhalb von 22 Jahren verdoppelt. Im
Jahr 2000 wurden rund 16 Millionen Madagassen geschätzt,
wobei 45% weniger als 15 Jahre und 55% weniger als 20 Jahre alt
waren. Im Jahre 2010 werden womöglich 21,3 Mio Madagassen
leben, im Jahr 2022 voraussichtlich 24 Millionen Madagassen
sein., im Jahr 2025 31,7 Mio.
Die
Bevölkerungspyramide Madagaskars weist mit ihrem
ausgesprochenen Kinderreichtum eine sehr breite Basis auf. Mehr
als die Hälfte der Madagassen ist unter 20 Jahre alt und
44% der Madagassen waren 1985 weniger als 15 Jahre alt. Gegen
oben wird die Pyramide schnell dünn, nur 3% der Bevölkerung
ist über 65 Jahre alt.
Die
madagassische Bevölkerung lebt zum Grossteil (zu rund 80%
bis 85%) in ruralen Gebieten, in Einzelhöfen oder in Dörfern
mit weniger als 2500 Einwohnern. Mit einer Bevölkerungsdichte
von keinen 20 Pers/ km2
ist Madagaskar statistisch schwach besiedelt, doch die Bewohner
leben vornehmlich in Gunstzonen, während weite Landesteile
so gut wie ohne Einwohner sind. Nimmt man allerdings die Bevölkerungsdichte
pro konstant genutzter Landwirtschaftsfläche zum Mass, so
zeigt sich mit rund 400 Pers/ km2
ein hoher Druck auf die Agrargebiete.
Von
der ruralen Bevölkerung leben 95% von der Landwirtschaft.
Die restlichen 5% machen vor allem die Beamten und Händler
aus, nur ein sehr kleiner Teil übt ein Handwerk aus.
Der
ländliche Haushalt umfasst im Durchschnitt 5,5 Personen.
Fast 40% der ruralen Bevölkerung ist unter 12 Jahren alt.
Eine
Landflucht zeigt sich im Alter von 15 Jahren (Besuch von höheren
Schulen) und ab dem Alter von 25 Jahren (Arbeitssuche ausserhalb
der Landwirtschaft). Da vor allem die Männer abwandern, zählt
die rurale Bevölkerung zwischen 25 und 45 Jahren mehr
Frauen als Männer. Doch die Landflucht hat auch in
Madagaskar drastische Formen angenommen. 1960 lebten 11% in den
Städten, 1965 waren es 15% und 1990 über 20%. Die Städte
wachsen um 5% pro Jahr. 14% der madagassischen Bevölkerung
lebt in städtischen Gebieten.
Üblicherweise
werden 18 ethnische Volksgruppen unterschieden. Doch alle sind
letztlich Madagassen und fühlen sich als solche, verbunden
durch eine gemeinsame Sprache und eine weitgehende Ähnlichkeit
in Kultur. Die dominante Gruppe bilden die Merina, gefolgt von
den Betsimisaraka an der Ostküste und den Betsileo im südlichen
Hochland. Diese drei Ethnien stellen über die Hälfte der
madagassischen Bevölkerung. Als weiteres wichtiges Volk
sind die viehhaltenden Sakalava zu zählen, die sich entlang
der ganzen Westküste ausgebreitet haben. An der Peripherie
dieser einflussreichen und bevölkerungsstarken Völker
leben kleinere ethnische Gruppen, die teilweise Sitten und Gebräuche
ihrer dominanten Nachbarn aufgenommen haben: Sihanaka,
Bezanozano, Tsimihety, Antankarana, Tanala, Bara.
Die
Völker des Südens (Mahafaly, Antandroy, Antanosy) haben
eine grosse Eigenständigkeit und Eigenheit bewahrt. Ein
ganzes Konglomerat an Volksgruppen lebt entlang der Südostküste:
Antambahoaka, Antaimoro, Antaifasy, Antaisaka.
Eine
Sonderstellung als Meeresfischer nehmen die Vezo der Westküste
ein, sie werden von einigen Ethnologen als eigenständiges
Volk betrachtet, von anderen Forschern als vom Fischfang lebende
Sakalava. Tatsächlich sind die Vezo in einem dichten Netz
mit den sie umgebenden Sakalava verwoben.
Die
Makoa sind eingewanderte - oder zumeist als Sklaven (makoa)
eingeschleppte - Afrikaner und leben in grösserer Zahl an
der Westküste. Zum Teil vermischten sich die auch Mosombika
genannten Leute mit den Nachbarvölkern, insbesonders mit
den Sakalava, zu einem geringeren Teil leben sie noch relativ
homogen in wenigen Regionen, so in der Umgebung von Maintirano
und Tambohorano (nördlich von Maintirano). Dort sprechen
noch ein paar Alte die Bantusprache makhuwa, wie sie in
Mozambique heute noch von einer grossen Bevölkerung geredet
wird. Viele Makoa haben den Islam angenommen, den Glauben der
Seefahrer und Sklavenhändler der vergangenen Jahrhunderte.
Ein
sagenumwobenes Volk lebt in den spärlich werdenden Wäldern
nördlich von Tulear: die kontaktscheuen Mikea ernähren
sich von jagen und sammeln. Inwiefern sie ein eigenständiges
Volk oder Vertriebene Vezo oder Sakalava sind, ist noch
weitgehend ungeklärt. Die Lebensweise der animistischen
Mikea, ebenso wie jene des Fischervolkes der Vezo, weist stark
auf einen ostafrikanischen Ursprung hin. Sie betrachten sich als
von Ostafrika herkommend und kennen die sonst auf Madagaskar übliche
Beschneidung der Jungen nicht.
In
einen Gedenkstein in Antsirabe sind diese 18 Ethnien in ihrer
'typischen' Umgebung in ein Steinmetzrelief eingemeisselt: Bara
und Sakalava werden als Viehzüchter mit Rindern gezeigt, Merina
und Betsileo sind als Reisbauern zu sehen. Doch die Unterteilung
in 18 Völker ist sehr künstlich und geht auf koloniale
Administrativbedürfnisse zurück. (Daher wurden wohl die
Bewohner von Ste. Marie als eigene Ethnie deklariert, weil diese
Insel seit 1750 französisch war.) Zwar sind einige der
Volksgruppen - wie etwa die Antaimoro - sehr homogen, andere
hingegen sind eher als geografische und weniger als
ethnologische Bezeichnungen aufzufassen. Dies trifft
insbesonders für die Betsimisaraka der Ostküste zu.
In
Madagaskar gibt es keine 'Stammeskriege' wie in Afrika:
Madagaskar ist eines der ethnisch homogensten Länder der
Erde. Die Menschen der unterschiedlichen Ethnien leben relativ
harmonisch zusammen, unterstützt durch eine gemeinsame Sprache.
Trotzdem war das Verhältnis zwischen den Hochlandbewohnern
und den Küstenleuten schon immer latent gespannt. Dies wurde
auf Initiative des umstrittenen Präsidenten Ratsiraka noch
kräftig geschürt, als er 1991 die Idee der föderalistischen
Republiken lancierte, was von den 'Fédés' - aber nicht von
allen Bewohnern - in den Provinzen begeistert aufgenommen wurde
- und vor allem gegen die Merina gerichtet war, die als
'Kolonialmacht des 19. Jahrhunderts' auch heute noch immer auf
viel Argwohn treffen. So suchen die côtiers insbesonders eine
politische Anerkennung und Machtfülle und schaffen es auch,
diesen Anspruch gegenüber den Hochländern durchzusetzen,
die dafür im ökonomischen Bereich weiterhin dominant sind.
Doch auch die Küstenvölker leben nicht konfliktfrei,
insbesonders die kleinen Volksgruppen an der Ostküste liefern
sich zuweilen blutige Kämpfe um Land und Einfluss.
Zudem
leidet das Hochland unter Landmangel und Überbevölkerung,
während die bevölkerungsarme Westküste noch immer ein
attraktives Einwanderungsgebiet bleibt. Die Besitzverhältnisse
des Siedlerlandes bleiben oft ungeklärt und führen
zuweilen zu Streit und in jedem Fall zu einer einseitigen
Auslaugung des Bodens ohne Investitionen.
Die
ursprüngliche Kleidung der Madagassen bestand aus einem kurzen
Lendenschurz und einem Lamba (Baumwolltuch) über die Schulter.
Das Tragen von Fellen oder Leder war fady: es durften keine
tierischen Produkte mit dem Körper in Kontakt kommen.
Dieses Verbot ist wohl ein Erbe der Einwanderer aus dem
indonesischen Raum. Heutzutage sind die traditionellen Hochlandmänner
mit einem grossen Hemd bekleidet und haben ein Baumwolltuch (Lamba)
über die Schultern geschlagen, dazu tragen sie einen
geflochtenen Strohhut. Die Frauen sind in Röcke gekleidet
und hüllen ihre Schultern ebenfalls in ein Lamba. Insbesonders
bei Feierlichkeiten geht keine Hochlandfrau ohne ihr weisses
Schultertuch an die Öffentlichkeit. Dieses symbolische
Kleidungstück wird auch von den europäisierten und reichen
Frauen getragen. Und natürlich durchgehend von den
traditionellen Frauen.
Die
Küstenbewohner tragen Lambaoany: buntbedruckte Tücher um die
Lenden, Frauen wie Männer. Dazu vielleicht als Kompromiss
an die neue Zeit oder auch als Prestigesymbol eine kurze Hose
oder eine Bluse.
Das
Weben von Baumwolle und Seide ist seit langer Zeit bekannt,
ebenso wie das Flechten von Bast. An der Ostküste werden auch
heute noch Raphiahemden getragen. (Die europäischen Händler
vergangener Zeiten kauften diese Hemden auf, liessen die Arm-
und Kopflöcher zunähen und nutzten sie als Säcke
für Exportprodukte. Heute machen es viele Madagassen umgekehrt:
sie schlitzen Plastiksäcke auf und nutzen sie als Hemd und
Regenschutz.)
Doch
man sieht auch in den Städten und insbesonders bei den
Fonctionnaires (Beamten), europäische Anzüge und schwarze
Schuhe. Die städtische Bevölkerung des Hochlandes
kleidet sich zumeist in vollkommen westlicher Manier, wobei die
jeunesse dorée, die jungen reichen Kinder der Oberschicht,
ausserordentlichen Wert legt, den neuesten Trends der Weltmode
mitzuhalten. Dies führte dazu, dass die Modephase der
zerschlissenen Hemden und Hosen auch in Madagaskar Einzug hielt:
so begegneten sich Bettler und Reiche in gleicher Kleidung, aber
aus unterschiedlichen Gründen.
Eine
Frau verheiratet sich im Schnitt mit 20 Jahren, ein Mann mit 23
Jahren. Eine Frau bringt im Durchschnitt 6 Kinder zur Welt,
wovon längst nicht alle das Alter von 5 Jahren erreichen.
Die
Ernährungssituation hat sich seit der Unabhängigkeit
nicht verbessert: nach wie vor stehen einem Madagassen pro Tag
nur um die 2400 Kilokalorien zur Verfügung.
Die
Stadt Antananarivo hat weit über eine Million Einwohner und ist
mit Abstand die grösste Stadt Madagaskars. Mehr als 40% der
städtischen Bevölkerung Madagaskars lebt allein in
Antananarivo.
Die
nächstgrösseren Städte sind wesentlich kleiner:
Fianarantsoa (120000 Einwohner), Tamatave (100000 Einwohner), Diégo-Suarez
(100000 Einwohner), Antsirabe (91000 Einwohner) und Mahajanga
(85000 Einwohner).
Die
aktive Bevölkerung von 15 bis 64 Jahren macht etwa 45% (dh.
rund 5 Mio. Leute) der Gesamtbevölkerung aus und ist zu 80%
im primären Bereich tätig. Nur 7% arbeitet im sekundären
Bereich, während 13% in der Administration und in
Dienstleistungen arbeiten.
Frauen
nehmen im öffentlichen Dienst eine den Männern
gleichwertige Rolle ein, im privaten Sektor sind sie nach wie
vor benachteiligt. Im ländlichen traditionellen Umfeld ist
ihnen weiterhin eine den Sitten und Gebräuchen der Ahnen
entsprechende Rolle zugeteilt. Daher liegt einer der Gründe der
weiblichen Landflucht auch im Entfliehen vor strengen
Einengungen innerhalb von Familie und Dorf. Während
allerdings die Hochlandfrauen relativ selbstbewusst sind,
unterliegen die Küstenfrauen - besonders jene im islamischen
Umfeld – erheblichen Einschränkungen.
Die
Wirtschaft kann die jährlich neu auf dem Arbeitsmarkt
erscheinenden Jungen nicht absorbieren und wird es wohl auch in
naher und mittlerer Zukunft nicht können. Das Resultat sind
eine drastische Unterbeschäftigung und eine anhaltende
Arbeitslosigkeit. Damit einhergehend zeigen sich eine erhöhte
Kriminalität und Prostitution, ebenso wie Strassenkinder
und Bettler, deren klägliches mangataka (gib mir etwas) längst
nicht mehr nur in der Hauptstadt zu hören ist. Zudem sind
an immer mehr Eingangspforten der Bessergestellten Schilder mit
alika masiaka (bissiger Hund) zu sehen.
In
der Provinz von Antananarivo sind 17,5% der Bevölkerung
Analphabeten, Tulear weist über 62% auf. Die
Alphabetisierungsrate ist bei den Männern höher als
bei den Frauen.
In
den Schulen hat sich in den letzten Jahren ein Drogenproblem
entwickelt. Die Schüler konsumieren insbesonders rongony
(Indischer Hanf). Die Anbaufelder und auch das
Hauptkonsumationsgebiet liegen im Faritany von Antananarivo. Der
Polizei sind drei Anbaugebiete bekannt, und die Regierung
stellte in den 1990er Jahren eine 'opération anti-drogue' auf
die Beine. Die Droge wird auch illegal exportiert. So soll der
Hafen von Mahajanga, beziehungsweise diskretere Buchten an der
Nordwestküste, als Umschlagplatz dienen. Mit boutres
(Frachtsegler) soll das rongony auf die Komoren gebracht werden.
1992 wurden 850 Kilo beschlagnahmt und 350 Personen wegen
Drogendelikten verhaftet. Hartnäckig hält sich das Gerücht,
Madagaskar sei ein internationaler Umschlagplatz für Drogen.
1972
gab es 50’000 Franzosen im Land. 1986 noch 15’000, wovon
rund 5000 Inder mit französischen Pässen und rund 5000
Kreolen aus den Nachbarinseln.
Komorer
waren mit 60’000 Leuten vor 1972 die zweitstärkste ausländische
Bevölkerung, die vor allem in der Region um Mahajanga
lebte. Doch infolge von Auseinandersetzungen im Dezember 1976
wurden rund 16000 Komorer repatriiert. (Sie werden heute noch
auf den Komoren als ’Sabena’ bezeichnet, weil es die
belgische Airline war, die sie damals in einer Sofortmassnahme
ausflog.) Die Komorer geraten immer wieder ins Schussfeld der
Kritik, weil sie einen blühenden Schmuggel zwischen Mahajanga
und den Komoreninseln aufrechthalten sollen.
Der
Anteil der Ausländer ist heute mit etwa 1% gering. Das grösste
Kontingent stellen die moslemischen Komorer (25’000), die als
Nachtwächter, Landarbeiter oder als städtische
Proletarier ärmlich leben. Gefolgt von 17’000 (1972)
Indo-Pakistanern, die vor allem an der Westküste und auf dem
Hochland als Händler mit Allerweltsläden und als Geschäftsleute
(Textilien, Schmuck) leben. Wiederholt, so 1987, kam es zu
Aktionen gegen Inder, worauf etliche das Land verliessen. Die
Indo-Pakistaner werden Karana genannt und sind zum Teil schon
seit etlichen Generationen im Land. Die Karana stellen keine
homogene Gruppe dar, sondern sind in etliche Richtungen und
Bekenntnisse (Bianiana, Khoja, Bohra etc) aufgesplittet, deren
reichste Gruppe die Anhänger von Aga Khan (Ismaeliten)
sind. Ismaelitische Familien kontrollieren die Unternehmen
COTONA, PNB, KARAMALY und viele mehr. Die Anhänger von Aga
Khan haben den Ruf, ihr verdientes Geld wieder in Madagaskar zu
investieren, vielleicht auch in Verwirklichung des Aufrufes von
Aga Khan von 1958, ein neues Heimatland für die
Religionsgemeinschaft der Ismaeliten zu finden. Die sunnitischen
Karana hingegen haben offenbar die Tendenz, ihr Geld ausserhalb
Madagaskars in Sicherheit zu bringen und anderswo anzulegen. Sie
stehen im Ruf, insbesonders während der Zweiten Republik,
sich schamlos und mit allen Mitteln bereichert zu haben. Die
meisten der sunnitischen Karana haben keine madagassischen Pässe.
Die
Chinesen (16’000) leben vor allem an der Ostküste und sind im
Kleinhandel tätig und treten als Agroaufkäufer auf. Im
Gegensatz zu den Indo-Pakistanern sind die Chinesen bei den
Madagassen beliebt: sie setzen sich nicht vom Volk ab, heiraten
madagassische Partner und stellen ihren Reichtum nicht offen zur
Schau. So hat die Zahl der Chinesen und der
chinesisch-madagassischen Mischlinge eher zugenommen, während
jene der Indo-Pakistaner durch Auswanderung nach den
Ausschreitungen abnahm. Die madagassichen Chinesen sind
durchwegs katholisch aus zwei Gründen: bei ihrer Einwanderung
nach Madagaskar um 1910-1920 kamen sie als verarmtes
Landproletariat, das ihre Priester nicht mitnahm; als Ausweg aus
der ärmlichen Situation in Madagaskar schickten sie ihre
Kinder zur Schule – die damals und insbesonders an der Ostküste
unter katholischem Einfluss stand. Ein neues Phänomen seit
Mitte der 90er Jahre ist die zunehmende Anwesenheit von ’neuen
Chinesen’, die im Gegensatz zu den ’alten Chinesen’ nur
wenig ethisches Geschäftsbewusstein zu haben scheinen und
die Madagaskar oft auch zu nutzen scheinen, um sich nach ein
paar Jahren des Geldverdienens in ihr Wunschland Kanada
abzusetzen.
Rund
4000 Leute aus Mauritius leben in Madagaskar. Dieser Bevölkerungsanteil
hat sich infolge der freieren Markwirtschaft in den letzten
Jahren erhöht. Innerhalb der europäischen Kolonie
stellen die Franzosen mit rund 20’000 Leuten den Hauptharst.
Etliche dieser alten Colons und ehemaligen Fremdenlegionäre
sind inzwischen zanatany, Kinder des Landes, geworden. Sie
empfinden dieses Land als Heimat und haben kaum noch einen Bezug
- ausser manchmal einer idealisierten Verherrlichung - zu ihrer
ursprünglichen Heimat. Ebenso fühlen sich tausende von Karana
und Komorer als zanatany, die letztlich nur noch eine rein
fiktive Heimat irgendwo in der Welt haben.
Angehörige
aus vielen Ländern arbeiten als Entwicklungshelfer, als
Angehörige von internationalen Organisationen und als
Diplomaten auf Zeit im Land. Viele davon leben in einer 'künstlichen'
Welt zwischen Arbeitsplatz, Club und Videogerät. Die
Missionare und die kirchlichen Mitarbeiter jedoch leben meist
mehrere Jahrzehnte im Land und sprechen madagassisch.
Gemischte
Paare sind häufig zu sehen. Vor allem in intellektuellen
Kreisen sind die männlichen Partner meist Madagassen, die
ihre Ehefrau während ihres Studienaufenthalts in Europa
oder in der UdSSR kennenlernten. Oder aber europäische Männer,
die dem Charme der Madagassinnen - auf Zeit oder länger -
erlegen sind. Diese Paare weisen oft einen erheblichen
Altersunterschied auf. Eine spezielle Kategorie bilden die
etlichen russischen Frauen, die sich von ihren im Lande auf Zeit
arbeitenden Männern trennten und ihren Lebensunterhalt in
vielen Fällen als Prostituierte verdienen.
Der
Kontakt mit Madagassen erfolgt zumeist unproblematisch. Zudem
geniessen die vahiny, die Fremden, traditionellerweise eine
grosse Achtung mit zahlreichen Vorrechten. Doch etliche
Angewohnheiten irritieren die Madagassen sehr. So etwa das
dekorative Aufhängen von Totentüchern in europäischen
Wohnzimmern oder das Benützen dieser Tücher als Bettüberwurf.
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