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Heiler
und Zauberer
Im
traditionellen Umfeld ist Verhexung und Verzauberung an sich
verboten, weil es die Harmonie zwischen den Bewohnern stört
und zerstört. Und doch ist die madagassische Welt voll von
Verzauberungen, Böswilligkeiten und Gefahren, die alle von
feindlichen Kräften herstammen. Dagegen schützt man sich,
indem man die fady streng beachtet und sich von wohlwollenden
Zauberern entsprechende Mittel herstellen lässt. Trotzdem
kann ein Widersacher jedem Menschen zu jedem Moment ein
Missgeschick zufügen und ihn in eine körperliche und
psychische Krise stürzen.
Krankheit
hat im traditionellen madagassischen Umfeld primär nie
physiologische Gründe. Immer steckt eine übernatürliche Kraft
dahinter, meist eine Verzauberung, veranlasst durch einen
feindlichen Nachbarn. Oder aber ein Übertreten eines fady,
beabsichtigt oder unwissentlich. Ein Kranker, vor allem auf dem
Land, wird in seiner Not erst einmal einen traditionellen Heiler
oder einen Astrologen konsultieren, der die Krankheit als
Verzauberung oder als übernatürlich diagnostizieren kann. Oder
einen Zauberer, der einen Gegenzauber entwickeln kann. Es gibt
auch traditionelle Masseure (mpanotra), die durch Kräuter
und Salben die Krankheit ausmassieren. Oder die tromba der
Sakalava, die in Trance Heilung verschaffen. Oder bilo, das
kollektive Besessenheitsphänomen der Betsileo, das zuweilen
als Massenphänomen in richtiggehenden Epidemien ausbricht.
Oder auch Leute, die mit Pflanzen und magischen Praktiken
Abtreibungen vornehmen. Viele traditionelle Heilmittel und Kräuter
sind bekannt und auch effizient.
Der
ombiasy kann nicht nur heilen, sondern auch verhexen oder gar töten.
So wird er beispielsweise eine Ameise vor dem Ameisenhügel töten
und damit veranlassen, dass sein menschlicher Feind beim
Eintreten in sein Haus stirbt. Oder er wird Sand eines
Fussabdrucks des Opfers sammeln oder Haare und sie für die
Verzauberung oder Ferntötung benutzen.
Der
ombiasy kann jedoch auch Liebeszauber herstellen und dies wird
von Männern und Frauen reichlich genutzt. Wer einen gewünschten
Partner nicht erhält, wird sich vom ombiasy einen
Liebeszauber machen lassen, der den Willen des Opfers lähmt
und ihn für den Auftraggeber füglich macht.
Fetisch
heisst auf madagassisch ody und davon leitet sich auch die
Bezeichnung für Arzneimittel (fanafody) ab. Die ody sind
Amulette als Schutz vor Gefahren realer oder spiritueller Art.
Sie können buchstäblich irgendwelche Objekte sein, zum
Beispiel Ochsenfett, Angelhaken, Krokodilzähne, Sand. Oft
wurden und werden sie in Ochsenhörnern (mohara) aufbewahrt
oder auch in kleinen Säckchen um den Hals getragen. Während
ody eher einen individuellen Zug aufweist, haben sampy
kollektive Bedeutung für eine Familie oder einen ganzen Clan.
Die sampy werden meist an speziellen, manchmal geheimen Orten
aufbewahrt, etwa in kleinen Häusern, und oft von Leuten
bewacht. Die sampy bestehen vielfach aus Reliquien verstorbener
Könige oder Clanchefs. Auf Geheiss der protestantischen Königin
Ranavalona II und unter Druck der Missionare wurden 1869 die
sampy der Merina-Monarchie zerstört. Trotzdem hielt sich
unter dem Volk der Glaube an diese Talismane und Glücksbringer,
wenn sich auch die Monarchie fortan nicht mehr durch sie
legitimierte.
Erst
an letzter Stelle wird sich der Kranke beim staatlichen Sanitätsposten
oder im Spital melden und von den Pillen und Spritzen Heilung
erhoffen. Oft zu spät.
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