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Von
Städten: T., Madagaskar, 200 000 Einwohner Tamatave Der
Ruf des Muezzin. Hallt der Küste entlang. In die gläubigen
Kaffeestuben. Und hinüber zu den fremden Schiffen am Quai. Es sind nie
mehr als vier oder fünf. Ihre Fracht ist schnell gelöscht. Doch dieser
Hafen. Ist der wichtigste des Landes. Bekannt seit den Zeiten der
Piraten. Die Sünde findet sich zwischen Moschee und Kathedrale. Und ist
eine kleine. Sie mag Karina heissen. Oder auch anders. Und knapp drüber
sein. Oder etwas minder. Die Nacht senkt sich. Über alles nieder. Der
Handel ruht in den lauen Abendstunden. Ausser bei den Indern. Sobald das
Minarett schweigt. Verhökern sie, was die Schiffe bringen. Tagsüber
bewegt sich der Ort im Takt der Regenschauer. Die Stadt duckt sich flach
hinter dem Strand. Höchstes Gebäude ist die weisse Kirche. Und nicht
der rotkreisende Leuchtturm. Die Altstadt sinkt knöcheltief unter
Wasser. Wenn die Regen mehr als eine Stunde dauern. Doch die
Pousse-Pousse-Fahrer ziehen ihre Rikschas. Mit festem Griff durch das
braune Wasser. Barfuss wie viele Stadtbewohner. Wenn die Tropenstürze
auf die Rostdächer hämmern. Die Chinesen besitzen Krämerläden voll
Allerwelt. Die Inder haben prallvolle Geschäfte mit lukrativen Waren.
Autoersatzteile, Kleider und Stoffe. Die Madagassen führen kleine
Buden. Kerzen, Streichhölzer, Zigaretten. Über die einst besseren
Strassen. Legen sich die knorrigen Äste der Flamboyants. Sie blühen
rot aus sattgrünen Blättern. Wenn ihre Zeit gekommen. Durch die Alleen
zieht der Duft des Pfeffers. Und ein Hauch von Vanille. Und
Kaffeegeruch. Über allem hängt die schwere Anmut der Nelkenwürze. Die
Stadt ist Lagerhaus. Verpackungsstelle. Exporthafen. In den Duft der
Produkte ist eingewoben die Hoffnung. Mit dem Verkaufspreis eine bessere
Zukunft zu ergattern. |
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Franz Stadelmann |
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Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 03. 08. 1996 |
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